Mario Levi: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach? (Suhrkamp)

Der neue Roman von Mario Levi Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach?, erschienen bei Suhrkamp, schildert das Leben der Menschen in Istanbul aus der Sicht eines alteingesessenen Juden und ist gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den Folgen der Militärdiktatur der 1980er Jahre.

Izak, ein 50jähriger gutsituierter Kaufmann, ist mit seinem Leben, das ereignislos und in geregelten Bahnen verläuft, unzufrieden. So besinnt er sich auf seine revolutionäre Jugendzeit und macht sich auf die Suche nach seinen ehemaligen Freunden. Er plant, mit ihnen ein einst gemeinsam verfasstes Theaterstück über die bunte Völkermischung Istanbuls in seiner alten Schule noch einmal auf die Bühne zu bringen. Nach und nach findet er sie alle wieder: den Türken Necmi, den Griechen Yorgos, den Juden Niso, die Jüdin Seli und die Türkin Sebnem. Doch schon bald zeigt sich, wie sehr sich alle im Laufe der Zeit verändert haben. Keiner von ihnen hat mit seiner Jugendliebe das Glück gefunden, keiner hat seine ‚linken’ Vorstellungen von einer sozial gerechten Gesellschaft realisieren können. Sie haben schwere Schicksalsschläge erlitten, Gefangenschaft und Folter. Dennoch finden sie zu ihrer einst engen Freundschaft zurück. Die Ehrlichkeit, mit der sie sich ihren Gefühlen stellen, auch mit ihren dunklen Seiten, und der bittere Humor, mit der sie das Unausweichliche akzeptieren, hebt diese Begegnung weit über ein ‚Klassentreffen’ hinaus. Keiner von ihnen wird wieder in den gewohnten Alltag zurückkehren können…

Mario Levi hat eine Hommage auf das kosmopolitische Istanbul geschrieben. In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte Istanbul 700.000 Einwohner. 400.000 waren muslimisch, der Rest gehörte anderen Religionen an. Heute leben 16 Millionen in Istanbul. Es gibt 45.000 Armenier, 18.000 Juden und 2.000 Griechen. Mit seinem Buch zeigt er, dass die Zeit eine Stadt und ihre Menschen verändern kann. Sein Ansporn ist es, dass die Stadt nicht vergisst, wie sie einmal war, dass es noch vor gar nicht langer Zeit ein anderes Istanbul gab. Er weiß, dass er die Entwicklung nicht aufhalten kann. So bleibt ihm eine melancholische Liebeserklärung an seine Heimatstadt, in der er jede Art von Nationalismus verabscheut und von einem vergangenen kosmopolitischen Istanbul träumt.

Mario Levi wurde 1957 in Istanbul geboren und lehrt an der Yeditepe-Universität in Istanbul Kommunikationswissenschaften. Für Istanbul war ein Märchen erhielt er im Jahr 2000 den angesehenen Yunus-Nadi-Literaturpreis.

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach? von Mario Levi ist bei Suhrkamp erschienen.
(JK 06/11)

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