Laurent Seksiks Roman Vorgefühl der nahen Nacht, erschienen in Deutsch bei Blessing, ist
sein vierter Roman und markiert seinen Durchbruch auf die Bestsellerränge in
Frankreich.
Im September 1940 kommt Stefan Zweig mit seiner
zweiten Ehefrau, der dreißig Jahre jüngeren Lotte Altmann, nach Brasilien. Mit
seiner ethnischen Buntheit ist dieses Land für ihn ein Gegenentwurf zum in
Europa herrschenden Rassenwahn. Voller Hoffnung quartiert er sich nördlich von
Rio ein. Auch seine Frau knüpft an Brasilien große Erwartungen. Sie werden
herzlich aufgenommen, sie werden gefeiert und sie feiern mit – sogar im
Karneval. Die Farben leuchten, das Klima lässt Lotte aufleben und in Ernst
Feder, dem früheren Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“, gewinnen sie einen
unterhaltsam ironischen Freund. Doch Stefan Zweig ist nicht nur auf der Flucht
vor den Nazis. Er flieht auch vor den Gespenstern, die ihm nachts den Schlaf
rauben – die Schatten seiner toten Freunde, allen voran Joseph Roth. So fällt
es ihm schwer, seiner Frau die Gefühle zu zeigen, die sie ersehnt. Umgekehrt
will sie lange das Ausmaß seiner Verzweiflung nicht wahrhaben. Eine der großen
Tragödien der Weltliteratur nimmt ihren Lauf.
Laurent Seksiks Buch ist keine Biographie Stefan
Zweigs und alle, die das von dem Buch erwarten, werden erst einmal enttäuscht
sein. Seksik hat sich ein anderes Ziel bei dem Buch gesetzt. Er geht vielmehr
der Frage nach wie ein Mensch von dem Format wie Stefan Zweig in diese
Depression fallen konnte und wie die Depression immer mehr Gewalt über den
Menschen erhält. Hierfür versucht Seksik das Innenleben der Figur Stefan Zweig
zu entblättern. Er schildert eindringlich die Angstzustände, die Albträume und
das Entfremden von seiner Umwelt, die Situation des zerrissenen Menschen und
wie ihm langsam alles entgleitet. Der Autor wagt dabei jedoch nicht, über
Stefan Zweig selbst zu spekulieren. Er schildert den Verfall und die
Extremsituation für seine Ehefrau, mit der sie völlig überfordert ist, zumal in
einem fremden Land mit fremder Kultur. Was anfangs so leichtfüßig erschien
gerät zur schweren Last. Mit Vorgefühl der nahen Nacht ist Laurent Seksik eine beeindruckende Studie über
einen Menschen gelungen, der an seinen inneren Dämonen zerbricht.
Laurent Seksik, 1962 in Nizza geboren, studierte
Medizin und war zunächst im Bereich Nuklearmedizin beschäftigt. Schon sein
erster Roman Les mauvaises pensées aus
dem Jahr 1999 wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Er war einige Jahre
Literaturchef von „Figaro Etudiant“. Heute arbeitet er in Paris an der
Universität halbtags als Mediziner.
Vorgefühl der nahen Nacht von Laurent Seksik ist bei Blessing erschienen.
(JK 07/11)
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