Marlene van Niekerk: Agaat (Btb)

Seit dem Roman Agaat, erschienen bei btb, gilt Marlene van Niekerk als eine der wichtigsten und einflussreichsten zeitgenössischen Autorinnen Südafrikas. 

Südafrika in den 90er Jahren: Milla Redelinghuys wartet auf den Tod. Durch ein Nervenleiden am ganzen Körper gelähmt, fällt es ihr schwer sich mitzuteilen. Ihre schwarze Haushälterin Agaat ist bemüht, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Doch Agaat lässt die zum Schweigen verdammte Milla auch ihre neu erworbene Macht über sie spüren. Und hat eine diebische Freude daran. Denn da ist der alte Groll über jene Frau, deren Sohn sie großzog, die ihr aber den Zugang zur Familie verwehrte. Und deren Ehemann alle drangsalierte. Zumindest darin sind sich die zwei Frauen einig. Und während Milla die letzten fünfzig Jahre Revue passieren lässt, loten die beiden die Grenzen ihrer Beziehung aus und nähern sich Stück für Stück einander an.

In ihrem zweiten Roman versetzt Van Niekerk die Handlung in das Kernland der weißen Afrikaaner, auf einen Bauernhof im Western Cape, und widmet sich dem Thema der Beziehung zwischen Mägden und ihren Herrinnen, dem Zusammenspiel von Macht und Landbesitz. Mit dem Lauf der Zeit offenbart die mittlerweile zur Rolle einer Krankenschwester gewandelten Agaat durch ihre beunruhigende Kombination von fürsorglicher Zärtlichkeit und fast sadistischer Freude, Besorgtheit und Kontrolle die perversen Ursprünge ihres Verhaltens aus den sich zwischen Abstand und Zuneigung abwechselnden Äußerungen Millas, ihrer Herrin. Ein Impuls mütterlicher Liebe, deformiert durch sowohl Egoismus als auch scharfer sozialer Gängelung, findet eine ironische Replikation in Agaats gewissenhafte Verabreichung von Nahrung, Bädern im Bett und Abführmittel an ihre gelähmte Herrin. Der Roman verbindet die krasse Intensität eines bemerkenswerten Kammerspiels am Totenbett, das nichtsdestotrotz Humor enthält, mit einem kurzgefassten Bogen von den Boomjahren des 19. Jahrhunderts am Kap bis zum Krieg in Angola, vom Umgang mit Rinderbotulismus bis zu Stickmustern und Kinderreimen in Afrikaans. Sie beschwört die abgenutzten Bilder der heroischen Burenfrauen herauf, die die südafrikanische Steppe bearbeiten und ihre Kinder von Hausmädchen aufziehen lassen, während ihre Männer angeln gehen oder sich vom Alkoholrausch erholen. Sie untergräbt dieses Klischee mit Bildern von Grausamkeit und Betrug. Während einige Abschnitte aus den 1990er Jahren durchaus hätten gekürzt worden können, behält der Roman Schwung und Spannung und Überraschungen bis zum Ende bereit. Mit der forensischen Übernahme der Pathologien von Mägden und Herrinnen, bietet der Roman ein abgemildertes Lehrbeispiel zum Umdrehen und des Rollenwechsels zwischen Herrin und Magd zusammen mit der innewohnenden Macht. 

Marlene van Niekerk, geboren 1954, veröffentlichte zwei Gedichtbände, eine Sammlung von Kurzgeschichten sowie den vielgepriesenen Roman Triomf, für den sie mehrfach prämiert wurde. Der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt. Marlene van Niekerk lehrt Afrikaans und Niederländisch an der Universität Stellenbosch.

Agaat von Marlene van Niekerk  ist bei Btb erschienen. 
(JK 11/14)

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