Colm Tóibín: Brooklyn (dtv)

Die Verfilmung des Buches Brooklyn des irischen Autors Colm Tóibín nimmt dtv zum Anlass, den Roman als Taschenbuch zu veröffentlichen.

In dem Roman geht es um eine Liebe zwischen zwei Welten. Die junge Irin Eilis Lacey wandert um 1950 nach Amerika aus, um in Brooklyn Arbeit zu finden. Sie wird Verkäuferin in einem Warenhaus. Die Anpassung fällt schwer, das Heimweh ist groß – bis sie Tony begegnet. Mit dem jungen Italiener an ihrer Seite eröffnet sich eine rosige Zukunft. Da ruft eine tragische Nachricht sie zu ihrer Mutter nach Südirland zurück. In der vertraut-fremden Heimat trifft sie Jim wieder. Eilis muss sich entscheiden.

Colm Tóibíns Schreiben ist sehr darauf angelegt, beim Leser die Illusion zu erzeugen, dass sich die Charaktere selbst nahezu unabhängig von der Stimme des Erzählers offenbaren. Sein Ziel ist es auch, komplizierte Gefühle und Interaktionen mit einem Minimum an Aufregung, mit einfachen Worten und einem präzis gesteuerten Ton darzustellen, der eine gewisse Stille voraussetzt. In Brooklyn erzeugt er starke Emotionen unausgesprochen zwischen den Zeilen. Seine einfach klingende Geschichte gewinnt an Tiefe und Resonanz in vielerlei Hinsicht, beginnend mit dem, was er auslässt. Einer Überbetonung weicht er fast obsessiv aus. So gibt es z.B. keinen Ausruf der Bewunderung, wenn Eilis zum ersten Mal die Skyline Manhattans erblickt. Das Wort „Liebe“ wird häufiger bei Eilis Gefühlen ihrem Zimmer oder ihren Lehrbüchern gegenüber angewandt als auf die Männer in ihrem Leben. Auch sentimentalisiert Tóibín nicht das, was seine Hauptfigur an Erinnerungen zu beiden Ländern in sich trägt. Wir sind es gewohnt, eine Auswanderergeschichte aus der amerikanischen Perspektive zu lesen, wobei die Emigration als quasi natürlich dargestellt wird. Indem Toíbín dies ausspart, wird die Geschichte für die Emigrantin bedeutend schmerzhafter. Eilis selbst ist ein sehr spannender Charakter. Sie ist weniger schutzlos und mehr beunruhigt, als es anfangs vermuten lässt. Der Roman streift diese verdeckten, von Unsicherheit geprägten Bereiche mit sehr leichter Berührung. Ihre Ablehnung der von ihrer Wirtin dargebotene Freundschaft sowie ihre Begegnung mit ihrer sexuell verlangenden weiblichen Chefin werden ebenso fein wie jede andere Szene im Roman von Tóibín gehandhabt, obwohl hier und da seine Sensibilität einen Unterton sowohl deftiger Heiterkeit als auch abgeklärter Melancholie nicht auschliesst.

Colm Tóibíns Roman wurde erstmals nach einem Drehbuch von Nick Hornby verfilmt. Die junge irischstämmige Schauspielerin Saoirse Ronan überzeugt grandios als Eilis Lacey in dieser ergreifend-realistischen Verfilmung. Ein bezaubernder Film über das Fremdsein – in der Ferne und in der Heimat.

Colm Toíbín, 1955 in Irland geboren, veröffentlichte mehrere Sachbücher. Sein erster Roman Der Süden (1994) wurde von der Kritik enthusiastisch gefeiert. Toíbíns Bücher wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er gilt als einer der interessantesten englischsprachigen Schriftsteller der mittleren Generation.

Brooklyn von Colm Tóibín ist bei dtv erschienen. 
(JK 02/16)

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