Literaturhaus
Dienstag, 06.09.2016 19.30 Uhr
Schwanenwik 38, Hamburg
Eintritt: 6 / 10 Euro.
Mit Der Geschmack von Apfelkernen, der in 26
Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt wurde, hat Katharina Hagena 2008 ein
großartiges Debüt vorgelegt. Nach Vom Schlafen und Verschwinden (2012)
ist jetzt bei Kiepenheuer & Witsch ihr dritter Roman Das Geräusch des
Lichts erschienen. Eine grandiose kanadische Rhapsodie, die von fünf
Suchenden erzählt. Im Literaturhaus stellt Katharina Hagena den Roman zum
ersten Mal vor. Christoph Bungartz moderiert.
Auf den ersten Blick
klingt der Plot von Katharina Hagenas neuem Roman fast nach einer
Creative-Writing-Aufgabe, doch die Literaturwissenschaftlerin, die zwei Bücher
über James Joyce vorlegte, bevor sie selbst ins belletristische Fach wechselte,
hat ihre Geschichte klug arrangiert: „Grammatik ist Struktur, das Gegenteil von
Warten“, heißt es in dem Roman, der einer universalpoetischen Spur folgt, ohne
großes Aufhebens darum zu machen.
Botanik und Kunst,
Zoologie, Philosophie und Esoterik, Katharina Hagena hat in ihre Geschichten
von fünf Menschen, die in einem Wartezimmer zusammenkommen, eine ganze Menge
von jenem Stoff untergebracht, der nicht, wie eine Fiktion, „unter dem Verdacht
der Lüge steht“.
Daphne etwa, die sich auf
den Weg gemacht hat, um ihre Freundin und Kollegin Thekla in Kanada
aufzuspüren, erforscht im Biozentrum des Botanischen Gartens Moose und
Flechten, während Thekla sich dem Erforschen von Wasserbären widmet, einem
winzigen „wirbellosen Wesen“, das sogar „eine Menge Spaß“ haben kann: „Mit
Männern, mit Frauen, mit sich selbst, sie tun und lassen, was ihnen gefällt.“
In Kanada entdeckt Daphne
dann ein Geheimnis ihrer Freundin, die selbst jedoch verschwunden bleibt. Erst
später taucht sie wieder auf, im Mikroskop von Daphne, sie sitzt auf einem
Lebermoosblatt „und nestelt an ihrem offenen Haar“. Daphne entschließt sich
daraufhin, besser einen Neurologen aufzusuchen.
Der Musiker, dem wir im
zweiten Teil des Romans begegnen, versucht, in Trauer um seine Frau Eva, den
Sound des Nordlichts aufzuzeichnen. Er lebt in einem „dottergelben Hausboot“
auf einem See in den Northwest Territories und wartet. Auf das Nordlicht und
vielleicht auch auf eine Erleuchtung darüber, was ihn aus seinem wohlsortierten
Leben gerissen hat und was Eva zugestoßen ist.
Der zwölf-jährige Richard
Deutsch hat da ganz andere Probleme: Er ist kein Tschu und kann deshalb auch
nicht wie seine verschwundene Schwester und seine Mutter auf dem Planeten Tschu
leben. Stattdessen kümmert er sich um Hydranten, bzw. um alles, was ihm Zugang
in diese andere Welt verspricht, und um Kaugummiautomaten. Das auch. Sogar in
Kanada, wo er mit seinem Vater in den Ferien unterwegs ist.
Schließlich ist da noch
diese verwirrte Dame: „In ihrem leeren Blick ist jede Geschichte aufgehoben.“
Zuletzt erfindet sich die Erzählerin, die nun alleine im Wartezimmer sitzt ihre
eigene Geschichte. Sie kreist um die skrupellosen Verbrechen einer Ölfirma,
durch die sie selbst in Lebensgefahr gerät.
Wie durch die
vorangegangenen Geschichten auch verwandelt sich das Warten, das „eigentlich
bewachen heißt“, durch das Erzählen in ein Erinnern, das zugleich ein Vergessen
ist, weil es hinausführt aus einer unerträglichen Situation. „Unterschätzen sie
niemals die Moose“, die sich in ihrer Vielfalt und Schönheit erst zeigen, wenn
man genau hinsieht, kann man hier noch einmal zitieren, um Geräusch des
Lichts schließlich als einen wunderbar verspielten und klugen Roman über
die Macht der Fantasie zu empfehlen.
Katharina Hagena, geboren
in Karlsruhe, lebt als freie Schriftstellerin mit ihrer Familie in Hamburg.
Das Geräusch des Lichts von Katharina Hagena ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
(JK 09/16)
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