Wie erzählt man von einem
Land, das sich seit 35 Jahren im Krieg befindet? Von Geiselnehmern in Bagdad,
der institutionalisierten Paranoia unter Saddam, dem Soldaten mit den
hellseherischen Fähigkeiten, den Hasen in der Grünen Zone, dem Lied der Ziegen,
den 1001 Messern und dem Mehlsack voller Köpfe? Wie erzählt man von der Psyche
des Krieges, von dem alltäglichen Horror, der immer mehr Menschen zur Flucht
zwingt? Und wie erzählt man von denen, die fliehen? Von den geheimen Pfaden der
Emigration, von den Menschenhändlern in den Wäldern Serbiens, von Alis Tasche,
von dem Massaker in einem LKW nach Berlin, von den Albträumen des Carlos
Fuentes und vom fatalen Lächeln des Emigranten in der Nazi-Bar? Der im Exil
lebende irakische Autor Hassan Blasim hat es versucht und Geschichten verpackt
in seinem Buch Der verrückte vom
Freiheitsplatz,
das bei Kunstmann erschienen ist.
Seine Geschichten
schildern den Irak der letzten Jahrzehnte als surrealistisches Inferno – den
Krieg mit dem Iran, die Herrschaft und den Sturz Saddam Husseins, die
Besatzungszeit, die Eskalation der Gewalt und die sich ausdehnende Wüste der
Erinnerung – und sie erzählen von der Emigration, von den Grenzen und Zäunen,
den Ämtern und Verstecken, der Einsamkeit und der Entfremdung, der die
Flüchtlinge ausgesetzt sind. Vor allem aber erzählen sie von Menschen, von
ihren Traumata und Albträumen, von ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, von
ihrem Schmerz und ihren Strategien, in einer wahnsinnigen Wirklichkeit zu
überleben.
Hassan Blasim lässt die
irakische Wirklichkeit über den Leser zerplatzen. Seine Geschichten sind
ungeschminkt, einem wahren Horrorfilm entsprungen und bieten sich der Oszönität
dar. So hat bisher noch keiner die Realität des zerschundenen Landes
geschildert. Es gibt keinen Platz für Poesie, der Schrecken walzt sie förmlich
nieder. Der Autor versucht seine Sprache daher auch gar nicht beschwichtigend
in den Geschichten einzusetzen, sondern zeigt sich in Kommentaren, die er als
literarisches Mittel einsetzt, um den Schrecken und Horror in den Griff zu
bekommen. Der verrückte vom Freiheitsplatz ist ein
verstörendes, ein wichtiges Buch.
Hassan Blasim wurde 1973
in Bagdad geboren und studierte dort an der Filmhochschule. 1998 verließ er
Bagdad und zog in den kurdischen Teil des Irak, wo er aus Angst um seine
Familie unter dem Pseudonym Ouzad Osman Filme drehte, unter anderem den
Spielfilm Wounded Camera. 2004 emigrierte er nach Finnland. Die erste
Sammlung seiner Kurzgeschichten erschien 2009 unter dem Titel The Madman of
Freedom Square. Der zweite Kurzgeschichtenband The Iraqi Christ
erschien 2013 und gewann 2014 den renommierten Independent Foreign Fiction
Prize.
Der verrückte vom Freiheitsplatz von Hassan Blasim ist bei Kunstmann
erschienen.
(JK 01/17)
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