Dana Grigorcea zeichnet in ihrem Roman Die nicht sterben, der bei Penguin erschienen ist, ein atemberaubend atmosphärisches Porträt der postkommunistischen Gesellschaft in Rumänien, die bis heute in einem Zwischenreich gefangen scheint.
Eine junge Bukarester Malerin kehrt nach ihrem Kunststudium in Paris in den Ferienort ihrer Kindheit an der Grenze zu Transsilvanien zurück. In der Kleinstadt B. hat sie bei ihrer großbürgerlichen Großtante unter Kronleuchtern und auf Perserteppichen die Sommerferien verbracht. Eine Insel, auf der die kommunistische Diktatur etwas war, das man verlachen konnte. „Uns kann niemand brechen“, pflegte ihre Großtante zu sagen. Inzwischen ist der Kommunismus Vergangenheit und B. hat seine besten Zeiten hinter sich. Für die Künstlerin ist es eine Rückkehr in eine fremd gewordene Welt, mit der sie nur noch wenige enge Freundschaften und die Fäden ihrer Familiengeschichte verbinden. Als auf dem Grab Vlad des Pfählers, als Dracula bekannt, eine geschändete Leiche gefunden wird, begreift sie, dass die Vergangenheit den Ort noch nicht losgelassen hat – und der Leitspruch ihrer Großtante zugleich der Draculas ist. Die Geschichte des grausamen Fürsten will sie erzählen. Am Anfang befürchtet sie, dass sie die Reihenfolge der Geschehnisse verwechseln könnte. Dann wird ihr klar: Jede Reihenfolge ergibt einen Sinn. Weil es in der Geschichte nicht um Ursache oder Wirkung geht, sondern nur um eines: Schicksal. Inzwischen aber ist es für jede Flucht zu spät.
Virtuos bringt die Autorin die Geschichte Rumäniens zusammen, den schrecklichen Fürsten Dracula und den gestürzten Diktator Nicolae Ceaușescu, ohne letzteren explizit vorzuführen. Sie zieht Parallelen zur Gegenwart und verwebt sie mit Elementen des magischen Realismus. Literarisch auf hohem Niveau hat die Autorin einen Roman geschrieben, für den man sich Zeit nehmen muss, um seine Tiefe zu ergründen.
Dana Grigorcea wurde 1979 in Bukarest geboren, sie studierte Germanistik und Nederlandistik und lebt seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Zürich. Die Werke der rumänisch-schweizerischen Schriftstellerin, etwa der Roman Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit und die Novelle Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen, wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.
Die nicht sterben von Dana Grigorcea ist bei Penguin erschienen.
(JK 05/21)
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