Junot Díaz: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao (S. Fischer)

Eine Familie zwischen den Welten und zwischen den Zeiten: Junot Díaz erzählt in seinem Roman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao, der bei S. Fischer erschienen ist, von dem liebenswürdigen Nerd Oscar und seiner toughen Schwester Lola. Beide sind in New Jersey groß geworden, aber ihre Wurzeln liegen in der Karibik. Und dorthin verschlägt es sie immer wieder zurück, wenn das Leben das mühsam zusammengekratzte Glück gerade wieder einmal auswischt. Hier finden sie im Haus der Großtante Zuflucht – genauso wie ihre Mutter vor vielen Jahren, von deren düsterer Vergangenheit sie allerdings nichts ahnen. Dabei wirkt sie wie ein Fluch. In einem letzten, verzweifelten Akt riskiert Oscar eines Tages alles für sein Glück. Den Fluch zu bannen wird sein letztes Abenteuer.

Junot Díaz wurde 1968 in der Dominikanischen Republik geboren und kam als Kind in die Vereinigten Staaten. Er lebt in New York. Bereits sein Erzählungsband Abtauchen wurde hymnisch gefeiert und mit dem PEN/Malamud-Preis ausgezeichnet. Mit seinem ersten Roman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao schrieb sich Junot Díaz endgültig in die vorderste Reihe amerikanischer Gegenwartsautoren. 2008 wurde der Roman mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.

Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao von Junot Díaz ist bei S. Fischer erschienen.

Interview mit Junot Diaz

B@T.: Erzählen Sie uns etwas über die Geschichte von Oscar Wao und warum sie mit ihr in der Dominikanischen Republik beginnen

J.D.: Es ist ein unglaublich verrücktes Buch über eine dominikanische Familie, die in New Jersey lebt, eine Familie, in der einige Familienmitglieder glauben, dass über der Familie ein alter dominikanischer Fluch, ein Fuku, liegt. Das Buch erzählt die letzten 50 Jahre der Familie und im Mittelpunkt steht der älteste Sohn, der arme fette Oskar, der Science Fiction und Star Wars mag und sehnsüchtig auf eine Freundin wartet, der aber scheinbar nie das Glück haben wird, eine Freundin zu haben. Mein Buch fängt daher an mit der Diskussion, woher dieser Fluch eigentlich kommt, wo sein Ursprung liegt. Der Fuku ist Teil des dominikanischen Volkstums. Meine Eltern haben schon darüber gesprochen. Es ist wild und unbändig und ich hatte immer die Lust diese Legende in einem Buch zu verarbeiten.

B@T.: Und der Fuku ist verknüpft mit der Geschichte des Diktators Trujillo, der von 1931 bis in die 60er Jahre die Dominkanische Republik beherrschte. Er scheint ein Magier dieses Fluches zu sein.

J.D.: Ja, es gibt so viele Erzählungen in der dominikanischen Folklore über die Zauberkraft Trujillos diesen Fluch über Menschen zu bringen. Ich musste die Legenden allerdings im Buch herunterschrauben. Legenden in Santo Domingo besagen, dass Trujillo sogar einen Papst mit einem Fuku getötet hat. Auf dem Land in manchen Gegenden der Dominikanischen Republik hört man diese Legenden und mich hat es sehr gereizt, dies ins Buch zu bringen aber letztendlich gab es im Buch keinen Platz für eine größere Ausschmückung.

B@T.: Im Buch hat dieser Fluch Trujillos eine sehr intime Macht über die Familie. Erzählen Sie uns wie es dazu kommt und wieso dieser Fluch in der dominikanischen Diaspora in den USA soviel Einfluss hat?

J.D.: Nun man lernt die Familie kennen, anfangs die modernsten Mitglieder, die Geschwister Oscar und Lola, die in New Jersey leben und so etwas wie die amerikanische Wirklichkeit leben. Die Geschichte leuchtet zurück und man erkennt eine Familie, die die Überlebenden einer Katastrophe sind. Eine Familie, deren Wurzeln von dem Trujillo Regime in den 40 er Jahren ausgelöscht wurden. Die Familienmitglieder sind sozusagen die Überlebenden eines Fegefeuers, von dem die Menschen glauben, dass es durch einen Fuku ausgelöst wurde. So gibt es Menschen, die an materielle, reale Gründe glauben oder andere, die sagen, dass man keine männlichen Nachkommen bekommt, weil man verflucht wurde.

B@T.: Ist der Fluch ausschließlich beschränkt auf die Dominikanische Republik oder hat er eine universelle Kraft in der ganzen Welt?

J.D.: Nun, der Fuku ist lokal entstanden, die Menschen dort glauben jedoch, dass der Fluch überall wirksam ist. Der Fluch verfolgt uns wo immer wir hingehen. Ich bin im Schatten des Fluches aufgewachsen. Man hört Leute, die davon sprechen. Wir hatten z.B. einen Nachbarn, der keine Söhne hatte und alle sagten, dass er verflucht sei, weil er eine alte Liebe betrogen hat. Ich liebe diese Geschichten und ich versuche sie zu sammeln. Ein Teil wie diese Geschichten entstanden, war der Versuch mit dem unsichtbaren Schatten einer Geschichte zu ringen. Ich habe selber diese Schatten gesehen. Z.B. dieser Nachbar, ich sah ihn und ich sah seine Töchter. Als jemand darüber sprach, dann wurde plötzlich ein Element seiner Persönlichkeit sichtbar, das vorher nicht da war. Er hatte eine Geliebte, die er sehr tief verletzte, so tief verletzte, dass jemand sagte, dass es wahrscheinlich daran liegt, dass er keine Söhne haben wird.

B@T.: In Ihrem Buch scheint es, was Sie die unsichtbare persönliche Geschichte nennen, viele Parallelen zwischen dieser und Ihrem Herkunftsland, der Dominikanischen Republik, zu geben.

J.D.: Es ist sehr interessant. Eine Sache die Santo Domingo und die USA gemeinsam haben, ist, dass beide Länder Kinder der Neuen Welt sind. In beiden Ländern gibt es aus unterschiedlichen Gründen eine enorme Stille im Herzen ihrer Kultur. Dinge, die nicht ausgesprochen werden. Dinge, von denen die Menschen beigebracht bekommen, nicht darauf zu schauen, oder über die man nicht spricht. Für einen Künstler sind das die fruchtbarsten Äcker. So soll man in den USA immer über die Demokratie reden, aber bloß nicht, dass man in den letzten 100 Jahren so viele Kriege begonnen hat. Und in der Dominikanischen Republik herrscht eine große Stille über die Entdeckung der Neuen Welt, dass sie katastrophale ja apokalyptische Ausmaße hatte. Fährst Du in die Karibik, dann ist das Spaß, Strand und Kokoscocktails schlürfen.

B@T.: So viele Menschen mussten die Dominikanische Republik verlassen nicht nur aus politischen sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. An einem Punkt im Buch wird die Mutter von Oscar Wao beispielsweise vom Erzähler befragt, was sie über die Emigration weiß. Es scheint so, als dass die Emigration ein Land an sich ist.

J.D.: Für mich ist Emigration tatsächlich nicht nur die Auswanderung an sich. Wenn Du jung bist, dann kommst Du in der Fremde an. Du musst die neue Kultur kennen lernen, und nicht nur das: Du musst begreifen, in ihr zu navigieren. Du musst lernen, wie Du Dich behauptest und sehen, was aus Deiner Kultur noch übrig bleibt und Dir in Deinem Leben weiter hilft. Das ist eine unglaubliche Erfahrung. Und obwohl die USA von sich behaupten ein Einwanderungsland zu sein und dass die Einwanderer ein wichtige Säule des Landes sind, glaube ich, dass Zeit und Raum im Einwanderungsprozess noch gar nicht erforscht sind, insbesondere wenn man junge Einwanderer betrachtet. Die USA ist diesbezüglich ein unerforschtes Land, es herrscht eine enorme Stille. Als Künstler interessiert mich dieser Komplex. Wenn wir erfassen würden, was Kinder oder junge Menschen mit Migrationshintergrund wirklich und wahrhaftig fühlen, was sie durchmachen, wenn man diese Menschen hören würde, dann hätten wir ein anderes Land, weil unsere Wahrnehmung sich ändern würde, was die USA sind und was das Land braucht.

B@T.: Was ist der Unterschied zwischen einem jungen Menschen, der emigriert, im Gegensatz zu seinen Eltern? Sie waren 6 Jahre alt, als sie von der Dominikanischen Republik in die USA kamen.

J.D.: Ich sage immer mit Ironie, dass man erst anfängt, in den USA wirklich anzukommen, das Land zu verstehen, wenn man auf die High School geht und dort fertig gemacht wird. Die High School ist die Disziplinierungsinstitution in den USA, was Patriotismus betrifft. Willst Du ein Land, die Menschen und die Kultur verstehen, dann musst Du genau an eine solche Front, wo Kinder unterrichtet und geformt werden. In der Dominikanischen Republik gibt es enorme Probleme und Herausforderungen, das Land ist in keinem guten Zustand, aber ich habe dort niemals eine solch brutale Hierarchie und Rangordnung unter jungen Menschen gesehen wie es sie in den USA gibt. Es herrscht ein unglaublicher Stress unter den jungen Menschen. Das geht so weit, dass Kinder derart gedemütigt und drangsaliert werden, dass sie sich nicht mehr trauen, in die Schule zu gehen. Man wird auf der Straße körperlich bedroht und auch zusammengeschlagen. Es ist eine andere, eine eigene Jugendkultur und die USA sind ein erbarmungsloser Ort für einen jungen Menschen.

B@T.: Es herrscht aber auch Gewalt unter den Einwanderern selbst, wie Sie sie auch in Ihrem Buch beschreiben.

J.D.: Ja natürlich. Und es sind gerade die Leidensgenossen, die sich dann schließlich untereinander noch schlimmer bekriegen. Für mich war es wichtig, in meinem Buch zu beschreiben, womit man es zu tun bekommt, wenn man klug und als Schüler ehrgeizig ist, in einer Umgebung, die genau das verachtet.

B@T.: Oscar ist kein Macho, er ist übergewichtig, kriegt keine Freundin und er sagt selber, er wäre gar kein richtiger Dominikaner.

J.D.: Jede Kultur hat ihre Klischees. Die dominikanische Männerkultur hat viele Stereotypen, wie ein Mann zu sein hat. Oscar passt da nicht rein. Er hat eine dauerhafte Pechsträhne. Er mag Bücher, Science Fiction, gegenüber Mädchen ist er total schüchtern, und dabei will er nichts mehr, als eine Freundin zu haben. Ich schau auf Oscar und dann auf den Erzähler Junior. Es sind zwei total unterschiedliche Charaktere. Junior ist der, wie man sagen würde, normalere Dominikaner von beiden. Junior ist ein „Checker“, er lügt und betrügt. Er mag keine Dinge, die viel Aufwand beanspruchen. Bei Oscar ist bewundernswert, dass er immer aufrichtig sich selbst gegenüber ist und er der geeignete Mensch wäre, Liebe zu erfahren. Ich selber habe zum Beispiel nicht den Mut, den Oscar hat.

B@T.: Können Sie uns verraten, in wieweit sie selber in den Charakteren des Buches vorkommen?

J.D.: Ich bin sehr froh, dass ich nach einer langen Phase des Experimentierens eine erzählerische Stimme gefunden habe. Für Juniors Stimme, der Erzähler in dem Buch, brauchte ich eine gewisse Zeit, bis ich zu einem Fluss gefunden hatte. Für mich war es wichtig heraus zu bringen, dass wenn Du aufwächst und Bücher liebst und über die Welt träumst, dann bist du in einem einsamen Raum. Der Part, der von mir am meisten widerspiegelt, ist der, als ich aufwuchs und begann, mich fürs Lesen zu interessieren. Dies geschah genau in einem Umfeld, wo das niemand für eine gute Idee hielt.

B@T.: Anders als Oscar erzählt seine Schwester Lola hingegen in der Ich-Form und sie kommt viel redegewandter und poetischer rüber.

J.D.: Lola hat eine Menge Dinge durchgemacht und sie hat den Humor darüber nicht verloren. Sie ist eine der Überlebenden. Durch sie erfahren wir, was mit dem Jungen und der Familie passiert ist. Und am Ende gab es nicht viele Personen, die die Geschichte noch erzählen können. Ich brauchte eine Stimme, die gleichzeitig Stärke und Verletzbarkeit ausdrückt.

B@T.: Es gibt im Buch eine starke Frauenpräsenz. Nicht nur die Beziehung Mutter-Tochter, es gibt auch drei Tanten. Und dann gibt es die goldäugige Mongoose, ein Element des magischen Realismus. Ist das eine dominikanische Legende oder Ihre eigene Erfindung?

J.D.: Nun die Mongoose ist über Jamaika aus Indien in die Dominikanische Republik eingeführt worden. Die Mongoose ist auch ein Migrant und es gibt viele Mythen und Geschichten über dieses Tier. Ich wollte jedoch nicht den magischen Realismus hineinbringen. Es gibt vielmehr Menschen auf der Insel die an übersinnliche Dinge glauben. Auf UFOs war ich nicht besonders aus, so kam ich auf die Mongoose. Ich konnte kein Buch über Dominikaner in der Diaspora schreiben, ohne jemanden darin zu haben, der übersinnliche Fähigkeiten hat und mit den Vorfahren in Kontakt steht.

B@T.: Oscars Mutter sagt in dem Buch: Um zu wissen, wie Du heraus kommst, musst Du erst hinein kommen.

J.D.: Meine erste richtig große Bibliothek habe ich an der Cornell University gesehen und da hatten sie Dantes Inferno. Mich hat der Aspekt immer fasziniert, dass Du Dich den Dingen stellen musst, die Dich am meisten bedrücken und verfolgen. Je mehr Du Dich vor diesen Dingen drückst, desto stärker werden sie in einem. Also müssen sich die Menschen damit konfrontieren.

(JK 06/09)

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