De Niro’s Game lautet der Originaltitel dieses beklemmenden, aufwühlenden Erstlings von Rawi Hage, der bei Dumont erschienen ist, dessen deutscher Titel Als ob es kein Morgen gäbe zwar auch die Perspektivlosigkeit anklingen lässt, um die es geht, der aber nicht annähernd so bezeichnend ist wie die Anspielung im englischen Titel. Thematisiert wird dort nämlich das Russische Roulette in dem Film Die durch die Hölle gehen, in dem Robert de Niro einen von drei befreundeten, psychisch vollkommen zerrütteten Vietnamheimkehrern spielt.
Auch in Hages verstörendem Debüt gehen Bassam und George, zwei beste Freunde seit Kindertagen, täglich durch die Hölle – das Bürgerkriegs-Beirut Anfang der 1980er Jahre; die Ermordung des Präsidenten und Phalangisten-Führers Bachir Gemayel nach zweiwöchiger Amtszeit findet sich im Text wieder. Der Krieg hat den beiden jungen Männern Familie und soziales Umfeld genommen, sie zu verrohten, „hormongesteuerten Tagedieben“ gemacht. In der totalen Sinn- und Ausweglosigkeit des Kriegsalltags geben sich die beiden Antihelden dem perversen Zeitvertreib des Russischen Roulettes hin und irgendwie erscheint dieser Nervenkitzel grausam einleuchtend – ist doch das ganze Leben nichts als ein schreckliches Spiel, in dem es keine Gewinner gibt, dessen Figuren allesamt traumatisiert, geschunden, von sich selbst und von der Welt entfremdet durch den Tag taumeln, eben so, als ob es kein Morgen gäbe. „Phänomene“ wie Freundschaft, menschliche Bedürfnisse, Empfindungen und Gewissen stehen in Hages eindringlichem Text wie verkohlte Überbleibsel auf verbrannter Erde und gehen beim Lesen umso mehr unter die Haut. Die Sekunde, wenn der Revolver knackt, aber kein Schuss detoniert, gehört zu den seltenen Glücksmomenten – dann ist der Nächste an der Reihe.
Der Autor hat dem Text ein Zitat von Jean Paul Sartre vorangestellt: „Ich habe schmutzige Hände, bis zum Ellenbogen hinauf. Meine Hände sind in Scheiße und Blut getaucht.“ Ging es für Sartres Romanfiguren jedoch darum, nicht davor zurückzuscheuen, sich für eine Ideologie die Hände schmutzig zu machen, so lautet hier die Aufgabe für zwei Freunde, die nichts mehr zu verlieren haben, ganz einfach, sich im allgegenwärtigen Dreck das nackte Überleben zu sichern. Dennoch suchen Bassam und George jeder für sich ein Stück Zukunft. Bassam, aus dessen Perspektive der Roman geschrieben ist, setzt alles daran, sein Land zu verlassen, um dem Horror zu entkommen. George macht „Karriere“ in einer christlichen Miliz und lässt sich schließlich vollkommen instrumentalisieren. Der Bericht über sein Mitwirken an Massakern in palästinensischen Flüchtlingslagern nach der Ermordung Gemayels ist harte Kost. Hages Prosastil besticht. Die – vor allem in der zweiten Hälfte des Romans – sehr cinematografischen, schnell „geschnittenen“ und aus zahlreichen Dialogen bestehenden Sequenzen werden immer wieder von der Poesie in Bassams Halluzinationen abgefangen. Diese (Wahn-)Vorstellungen sind zugleich fantasievolle Verschnaufpausen, Auszeiten aus einer gnadenlosen Wirklichkeit sowie bedrohliche, wirre Alpträume, die das Tempo ein wenig drosseln, die Gedanken abschweifen lassen. Trotzdem bleibt der Text das Musterbeispiel von einem „Pageturner“, er ist ein wahres Stück Spannungsliteratur voller überraschender Wendungen, bei dem wohl der Ruhepuls eines jeden Lesers steigt.
Als ob es kein Morgen gäbe von Rawi Hage ist bei Dumont erschienen.
(JK 06/09)
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