Nathacha Appanah: Der letzte Bruder (Knaus)

Die junge Autorin Nathacha Appanah wird in ihrer Wahlheimat Frankreich seit Jahren von Kritik und Publikum gefeiert. Jenseits aller Postkartenidylle zeigen ihre Bücher ein den Lesern unbekanntes Mauritius. Nathacha Appanahs Roman Der letzte Bruder, der bei Knaus erschienen ist, erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Raj und dem von Geheimnissen umgebenen David.

Der zehnjährige Raj lebt in einem ärmlichen Dorf am Rand der Zuckerrohrplantagen von Mauritius. Nachdem seine beiden Brüder bei einem Unglück ums Leben kommen, ist er allein der Gewalt seines Vaters ausgeliefert. Als er den gleichaltrigen David kennenlernt, scheint es, als habe er endlich wieder einen Freund und Bruder gefunden. David ist mit seiner Familie in einem Gefängnis eingesperrt, in dem Rajs Vater als Aufseher arbeitet. Als ein Zyklon die Insel verwüstet, flieht David zu Raj. Aus Furcht vor Rajs Vater beschließen die beiden Freunde wegzulaufen. So beginnt eine Odyssee durch den Dschungel, die für David tödlich endet. Erst als sich Raj nach Jahren seinen Erinnerungen stellt, erfährt er die wahre Geschichte Davids und seiner Familie.

Nathacha Appanah, geboren 1973 auf Mauritius, lebt heute als Journalistin in Paris. Der letzte Bruder wurde von der Kritik hoch gelobt und war in Frankreich ein Bestseller. Der Roman wird in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt.

Der letzte Bruder von Nathacha Appanah ist bei Knaus erschienen.


Interview mit Nathacha Appanah

B@T: Mauritius hat sprachlich gesehen eine bizarre Situation. Es war eine englische Kolonie mit Englisch als offizielle Landes- und Verwaltungssprache. Gleichzeitig hat die englische Sprache das Französische als Verkehrssprache nie ersetzt. Die Bewohner hingegen sprechen untereinander Kreolisch, eine Sprache, die aus der Situation heraus entstanden ist, sich in zwei fremden Sprachen vermischt mit seiner eigenen Muttersprache und der Muttersprache anderer Einwanderer verständlich zu machen. Gleichzeitig wird in den Familien weiterhin die indische Sprache der Vorfahren gesprochen, meistens Hindi und Bhojpuri, eine weit verbreitete Sprache Ostindiens , hauptsächlich aus Bihar, von woher große Teile der Bevölkerung Mauritius stammen. Nathacha Appanah selbst schreibt auf Französisch. Wie stellt sich für Sie persönlich diese sprachliche Situation dar?

N.A.: Ich bin mit der kreolischen Sprache geboren. Meine Muttersprache ist also Kreolisch. Jeder auf Mauritius spricht Kreolisch. Kreolisch wird jedoch nicht im Unterricht benutzt. In der Schule wird man spätestens mit 4 Jahren mit Englisch und Französisch konfrontiert. Viele junge Mauritier haben enorme Schwierigkeiten, wenn sie in die Schule kommen. Ihre Muttersprache kommt im Unterricht nicht mehr vor, der gesamte Wissenstransfer findet in Englisch und Französisch statt. Für mich persönlich kam dann noch hinzu, dass zu Hause meine Großmutter z.B. Bhojpuri sprach, die Sprache Ostindiens aus Bihar. Ich selber wuchs mit weiteren indischen Sprachen auf. Es gibt die drei wichtigsten Sprachen, Kreolisch, Englisch und Französisch.

B@T: Wie ist das für Sie persönlich auf Französisch zu schreiben?

N.A.: Für mich war schon sehr früh klar, dass meine schreibende Sprache das Französisch ist. Ich habe Französisch gelesen als ich mit dem Schreiben begann. Obwohl Englisch die Amtssprache ist, ist die Bildungssprache auf Mauritius Französisch. Es gibt eine sehr starke Affinität der Menschen auf Mauritius zur französischen Sprache. Ein Teil meiner Familie lebte in Frankreich und es hat mir immer große Freude bereitet, mit ihnen auf Französisch zu kommunizieren. Ich habe schon sehr früh gelernt, mich auf Französisch auszudrücken und so schreibe ich denn auch auf Französisch.

B@T: Wie fühlen Sie auf Französisch, was ja nicht ihre Muttersprache ist?

N.A.: Ich muss gestehen, über die Jahre habe ich auch viel Englisch gelesen. Ich spreche natürlich Kreolisch, alleine schon weil ich sehr oft mit meinen Eltern telefoniere. Wenn ich mich jedoch an den Tisch setze zum Schreiben, schreibe ich sofort auf Französisch. Was wichtig ist, ich denke auf Französisch. Es ist also nicht, dass ich Gedanken im Kopf habe, die ich erst einmal vom Kreolischen oder Englischen ins Französische übersetzen muss, ich denke auf Französisch. Auch wenn ich Dinge beschreibe, die in Kreolisch passieren, habe ich sofort die Umsetzung ins Französische in meinem Kopf wie ein Reflex. Interessanterweise, als ich kürzlich in England war, begann ich sehr schnell auf Englisch zu denken. Wenn ich auf Mauritius bin, dann denke ich plötzlich auf Kreolisch. Lange Zeit habe ich nur Kreolisch geträumt. Seit einigen Jahren jedoch träume ich auch Französisch.

B@T: Für Sie gibt es keine Schwierigkeiten zwischen den Sprachen zu wechseln?

N.A.: Nein, man kann sagen, ich bin gut integriert. Es gibt natürlich hin und wieder Situationen, wo ich mir wünschte, mich auf Kreolisch ausdrücken zu können, weil man es weder auf Französisch noch auf Englisch ausdrücken kann. Es gibt da manchmal einen Konflikt, insbesondere wenn ich mich aus irgendeinem Grund verteidigen muss. Das klappt immer noch am besten auf Kreolisch. Meine Sprache zum Schreiben, meine Sprache der Fiktion ist Französisch, sie ist auch meine Alltagssprache. Ich habe versucht, auf Kreolisch zu schreiben aber ich fand das Resultat sehr schlecht.

(JK 05/09)

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