Herta Müller zu Gast vom Literaturhaus im Rolf-Liebermann-Studio

Rolf-Liebermann-Studio

Dienstag, 27.10.2009 20.00 Uhr

Oberstraße 120 - 20148 Hamburg

Die Nobelpreisträgerin Herta Müller liest aus ihrem neuen Roman Atemschaukel, der bei Hanser erschienen ist. Hubert Winkels moderiert. Eine Veranstaltung des Literaturhaus Hamburg.

Er schwingt, Herta Müllers neuer Roman Atemschaukel. Gerade ist man noch schockiert vom abgründigen Grauen, schon katapultiert einen die ebenso schlichte wie funkelnde und ungemein anrührende Sprache wieder in die lichten Höhen der Poesie. Müller erzählt die Geschichte eines ganz jungen Mannes, dem seine Jugend geraubt wird. Leo Auberg ist 17 Jahre alt und beginnt soeben das Leben mit all seinen Verführungen zu entdecken, als der Rumäniendeutsche 1945 in ein Arbeitslager zum Wiederaufbau der Sowjetunion gesteckt wird. In der Steinkohle lernt er zwar nicht das Leben, aber das Überleben. Die Worte der Großmutter, „Ich weiß, du kommst wieder”, sind es, die Leo den „Hungerengel” und die fünf Jahre währende „Hautundknochenzeit” ertragen lassen. Doch nach seiner Rückkehr muss er erfahren, was es heißt, ein Vergessener zu sein. Die Welt hat sich weiter gedreht – ohne ihn.

Wie in den Texten von Primo Levi oder in Tadeusz Borowskis Bei uns in Auschwitz schlüsselt der Roman auf, wie es gelingen kann, inmitten des Unmenschlichen die Menschlichkeit überleben zu lassen. Ist man noch ein Mensch, wenn man dem Nachbarn das Brot stiehlt? Wenn man der Ehefrau die Suppe weglöffelt? In Müllers Buch ist es die schwachsinnige Panton-Kati, an der sich die Humanität der Lagerinsassen beweist: „An ihr können wir gutmachen, was wir einander antun.” In Leos fein gestimmtem Sinn für die Sprache, der ihn am Leben hält, schimmert die Sprachmagie Oskar Pastiors durch. Herta Müller wollte ihr Buch gemeinsam mit dem Freund schreiben, reiste mit ihm in die Ukraine, zeichnete die Erinnerungen an seine Lagerzeit auf und hat den Roman nun doch allein verfasst, nachdem Pastior vor drei Jahren so plötzlich verstarb. Mit ihrem erschütternd schönen Roman hat sie dem Freund ein Denkmal gesetzt, ein Stück europäische Geschichte dem Vergessen entrissen – und großartige Literatur geschaffen.

Atemschaukel von Herta Müller ist bei Hanser erschienen.
(JK 10/09)

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