Yu Hua: Brüder (S. Fischer)

Yu Hua ist ein Kritiker, der die Macht der Sprache von Franz Kafka lernte

Der Pekinger Yu Hua, 49, wuchs während der Kulturrevolution auf dem Lande auf. Statt Schulunterricht gab es Denunziations-Wandzeitungen. Darin erkannte er die Macht der Sprache und beschloss zu schreiben. Er lernte von Vorbildern wie Franz Kafka, Jorge Luis Borges and Gabriel García Márquez, das Fiktive in seine Kurzgeschichten einzubauen, aber auch Sex und Gewalt; so wurde er schnell berühmt. Er schrieb ein Jahrzehnt lang an einem historischen Roman, brach ihn jedoch ab, um mit dem Roman Brüder, der bei Fischer erschienen ist, die Gegensätze der chinesischen Gesellschaft zu beschreiben. Es ist die tragikomische Geschichte von den beiden Stiefbrüdern Li und Song, die den Schrecken der Kulturrevolution überleben und im neuen China ihr Glück versuchen. Yu Hua zeigt, wie die Hauptfigur vom Müllsammler zum Immobilienmogul aufsteigt.

Zwei Brüder – zwei Leben. Li ist ein gerissener Geschäftsmann. Er verkauft Müll und abgetragene Anzüge aus Japan. Li scheffelt Millionen. Bruder Song ist besonnen, ein Schöngeist und ewiger Pechvogel. Ein bisschen zu gut für das moderne China – den wilden Kapitalismus. Aber auch er will am Wirtschaftswunder teilhaben. Also lässt er sich seine Brust vergrößern, um den Landfrauen ein Gel zu verkaufen, das den Busen praller macht. ›Brüder‹ ist die tragikomische Geschichte von Li und Sang, die die Schrecken der Kulturrevolution überleben und im neuen China ihr Glück versuchen. Yu Hua weiß um die Brisanz Chinas, aber er weiß auch, dass man den Humor nie verlieren darf. ›Brüder‹ ist die Kehrseite des Wirtschaftsrausches in China – traurig, klug und sagenhaft komisch.

Yu Hua, 1960 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang geboren, hat fünf Jahre als Zahnarzt praktiziert, bevor er Schriftsteller wurde. Auf Deutsch sind von ihm erschienen Leben aus dem Jahr 1998, der von Zhang Yimou verfilmt wurde, sowie Der Mann, der sein Blut verkaufte aus dem Jahr 2000. Brüder ist sein fünfter Roman. Yu Hua lebt in Peking.

Brüder von Yu Hua, ist im Fischer Verlag erschienen.

(JK 10/09)


Interview:

B@T: Ihr Buch beschreibt zwei Stiefbrüder, die während der Kulturrevolution auf tragische und brutale Weise ihre Eltern verlieren. Da beginnt die Geschichte und endet in unserer heutigen Zeit mit allen ihren Umbrüchen in sozialer, wirtschaftlicher und natürlich auch kultureller Art. Das ist auch ungefähr die Zeitspanne, die Sie auch selbst erlebt haben. Wie haben Sie die Umbrüche erlebt, welche Erinnerungen haben Sie mitgenommen?

Yu Hua: Als die Kulturrevolution begann, war ich gerade in die Mittelschule gekommen. Das war eine Zeit der Furcht und der Befürchtungen, der Angst. Vor allem erinnere ich mich an das Jahr 1967 als überall bewaffnete Auseinandersetzungen auf der Straße im Gange waren. Ich beobachtete wie Mitbürger der kleinen Stadt, in der ich damals lebte, aufeinander mit Knüppel losgingen. Und sie riefen „Schützt den Vorsitzenden Mao“. Sowohl die eine Gruppe als auch die andere riefen dabei dasselbe. Ich verstand nicht, wie beide Gruppen, die dasselbe riefen und wollten, so gewaltsam aufeinander losgingen. Das war für mich richtig schrecklich. Auf der anderen Seite war das auch eine sehr schöne Zeit. Ich brauchte nicht zur Schule zu gehen. Die Schulglocke, die zum Unterrichtsbeginn rief, war ebenso oft auch die Glocke, die zum Ende rief. Oft war es aber auch so, dass ich beim Ertönen der Schulglocke, die das Ende verkündete, gerade zur Schule ging. Es war ein großes Durcheinander.

B@T: Wie war das für Ihre Eltern, ihre Familie?

Yu Hua: Die konnten sich gar nicht viel um mich und meinen älteren Bruder kümmern. Die waren selbst den ganzen Tag über beschäftigt. Mein Vater stand auch unter sehr großem Druck. Mein Bruder und ich wir liefen den ganzen Tag durch die Straßen wie obdachlose kleine Kinder

B@T: Wenn wir jetzt auf die spätere Zeit im Buch kommen, da gibt es den einen, den Li, der Glatzkopf-Li genannt wird, und den Song – zwei ganz unterschiedliche Charaktere. Li ist ein wenig skrupellos, witzig und macht dann große Karriere, wird steinreich in seinem Leben. Song ist der etwas Sanftere, der Gewissenhaftere und scheitert am Ende. Wenn man das jetzt als Satire oder Parabel auf die chinesische Gesellschaft sieht, dann beinhaltet das doch schon eine herbe Kritik, oder?

Yu Hua: Ich denke, mein Roman ist überhaupt durchgängig kritisch zu sehen. Der Glatzkopf-Li steht für die kleine Minderheit von Menschen, die zu den Gewinner des Umbruchs zählen. Während der ältere Bruder Song für die große Mehrheit der von der Gesellschaft Ausgestoßenen steht. Beide erleben dieselbe tumultöse Zeit. Für den Glatzkopf-Li sind dies zwei unterschiedliche Zeiten, einmal die kulturrevolutionäre Zeit und einmal das heutige China. Während für den anderen Brüder es sich um ein und dieselbe Gesellschaft handelt. Das ist wie in anderen Gesellschaften auch. Es kommen immer nur sehr wenige zu Reichtum während die große Mehrheit auf der Strecke bleibt.

B@T: Worin besteht dann Ihr Kritik?

Yu Hua: Meine Kritik besteht darin, dass ich die Gesellschaft wie sie ist darstellt. Dass ich das Leben, wie es wirklich in der Realität ist, darstelle. Das Leben ist so vielgestaltig, da spielen so viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, all diese Dinge spielen außer dem Charakter der Personen, ein sehr große Rolle.

B@T: Gabe es denn Momente, in denen Sie befürchteten, dass Ihr Buch nicht durch die Zensur geht?

Yu Hua: Daran habe ich nie gedacht. Ich denke, dass es auch durchaus schädlich für einen Schriftsteller ist, dass wenn er an einem solchen Werk arbeitet, mit solchen Möglichkeiten rechnet oder auch nur daran denkt.

B@T: Sie verpacken diesen doch sehr schweren Inhalt in eine stellenweise sehr humorvolle Geschichte. Da ist eine Menge Witz drin auch. Auch sprachlich, da geht es mitunter sehr deftig zu. Ist das so Ihre Strategie, um die Kritik schick unterzubringen?

Yu Hua: Es ist ein Gesellschaftsroman und eine Gesellschaft hat nicht nur helle sondern auch dunkle Seiten. Das ist so, als ob man über eine Stadt schreibt, in der es Slums gibt aber auch die Villenviertel der Reichen. Beides muss beschrieben werden und beides mit den entsprechenden sprachlichen Mitteln.

B@T: In diesem Falle steht natürlich die eigentlich sehr grausame, tragische Geschichte dieser Familie im Mittelpunkt. Wie viele Familien kennen Sie, die so etwas erlebt haben?

Yu Hua: Solche Familien gab es in der Kulturrevolution zuhauf. Dass Menschen verfolgt wurden, starben, eingesperrt wurden und dergleichen.

B@T: Das was man dort sieht, was Sie beschreiben, zuerst die Kulturrevolution dann die aktuellen Umwälzungen, das bedeutet ja in beiden Fällen einen gravierenden Verlust von Traditionen. Was ist denn überhaupt in China von den Traditionen übrig geblieben?

Yu Hua: In China gibt es eine uralte kulturelle Tradition, die durch Kriege und durch die Kulturrevolution in einem beträchtlichen Maße zerstört wurde. Und ich spreche jetzt weniger von den materiellen Verlusten, die man durch Neuaufbau wieder ausgleichen kann. Das eigentlich besorgniserregende ist der Verlust an inneren Traditionen, die in den Menschen drin stecken. Das Schöne, das in uns Menschen schlummert wurde zunichte gemacht und an seine Stelle ist noch nicht genug Neues getreten, so dass man manchmal richtig verzweifelt ist.

B@T: Was bedeutet das dann für die Gemeinschaft, für die ganze Gesellschaft?

Yu Hua: Es geht um den Verlust der Wertvorstellungen. Die traditionell sehr engen Verbindungen innerhalb der Familie sind weitgehend verloren gegangen und an ihre Stelle ist eine zügellose Individualität getreten. Das ist Die Entwicklung de vergangen 60 Jahre gewesen. In den davor liegenden 3000 Jahren chinesischer Kulturgeschichte gab es sehr wenig Raum für das Individuum. Das Individuum war praktisch auf seine Rolle in dem Familienverband beschränkt. Das hat durchaus sehr starke historische Wurzeln, dass in China die Familie noch stark beachtet wird. Diese traditionelle Einstellung zur Familie, diese Wertevorstellungen, die mit der Familie verbunden sind, sind seit den 90er Jahren, in denen praktisch jeder einen Bühne hat, um sich darzustellen, weitgehend verloren gegangen. Und ich denke die Aufgabe für die nächste Zeit, wird sein, dass wir wieder zu einem ausgeglichenerem Verhältnis kommen zwischen der Betonung des Individuellen und dem Einordnen in die traditionellen Wertvorstellungen der Familie, damit wir auf die Art auch zu einem ausgeglichenerem Verhältnis in der Gesellschaft kommen.

B@T: Das eine sind die Werte und Traditionen, das andere ist, dass sie auch ganz scharf die Korruption und Geldgier im chinesischen Machtapparat kritisieren. Was müsste denn d als erstes passieren. Kann man dem Phänomen überhaupt beikommen?

Yu Hua: Die rapide wirtschaftliche Entwicklung in der Volksrepublik hat einfach nicht Schritt gehalten mit der Entwicklung des Rechtsstaats, mit der Ausbreitung von Gesetzen und Regeln des gesellschaftlichen Lebens. Und deswegen kommt es mit Zwangsläufigkeit zu Korruption. Das was heute auf Grund der Gesetzlichkeit des Jahres 2009 als illegal gilt, war in den 80er Jahren nicht unbedingt illegal. Man könnte das mit einem Symbol veranschaulichen: die chinesische Wirtschaftsentwicklung in den letzten 30 Jahren ist wie ein wildes Pferd, das durchgegangen ist. Unsere Gesellschaft, jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft versucht nun mit dem durchgegangenen Pferd Schritt zu halten.

B@T: Es gab im Vorfeld der Buchmesse Aufregung über chinesische Schriftsteller, die als systemkritisch gelten und durften nicht kommen, z. B Yan Lianke. Warum durften Sie kommen?

Yu Hua: Dass Sie mich fragen, wie es kommt, dass ich hier bin, ist eine komische Frage. Zu mir hat noch niemand gesagt, ich könne nicht kommen. Und was die anderen Schriftsteller angeht wie z.B. Yan Lianke, wer bin ich, dass ich entscheiden kann, wer kommt und wer nicht. Ich kann Ihnen also nur sagen, ich weiß es nicht, warum sie nicht herkommen konnten.

B@T: Es gibt in China, so sagt man zumindest hier, unbeliebte Themen, die wiederum hier sehr beliebt sind. Die Kulturrevolution, Tibet, AIDS, die Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 – ein absolutes Tabu. Wie wichtig finden Sie denn, dass über diese Themen gesprochen wird.

Yu Hua: Jeder Schriftsteller hat natürlich seine Themen, die ihm wichtig erscheinen und wird darüber schreiben. Zum Beispiel gehört zu dieser Schriftstellerdelegation ein bekannter Schriftsteller, der selbst Tibete ist: Alai, der die Tibetthematik zu seinem Thema gemacht hat. Ich selbst könnte das nicht. Ich selbst kenne das Leben in Tibet zuwenig, als dass ich darüber schreiben könnte. Ich kann nur über das Leben in den kleineren, für chinesische Verhältnisse kleineren Städten, meiner Heimat schreiben. Ich denke, darüber könnte nun wieder Alai nichts Gültiges aussagen.

B@T: In Europa wird auch gerne darüber geredet, wo es an Menschenrechten mangelt und wie die Demokratie in China vorangetrieben werden müsste. Kann man denn so etwas von Europa überhaupt beurteilen? Wie sehen Sie das?

Yu Hua: Wenn wir zusammen sitzen, haben wir natürlich alle das Recht unsere jeweilige Meinung zum Ausdruck zu bringen. Es gibt sehr viele Meinungsverschiedenheiten, viele Unterschiede. Ich halte das für normal. Ich als Chinese, Sie als Deutscher werden mit Sicherheit in verschiedenen Fragen unterschiedlicher Meinung sein. Auch in China gibt es unterschiedliche Meinungen zu ein und derselben Frage.

B@T: Im Vorfeld der Buchmesse hat der chinesische Botschafter gesagt „Wir brauchen keine Nachhilfe in Fragen Demokratie“. Hat er da Recht?

Yu Hua: Nun gut, das hat unser Botschafter gesagt. Ich selbst hätte das so nicht gesagt. Ich würde denken, wir können schon etwas lernen von den westlichen Demokratien. Aber es wäre andererseits unangebracht von China zu verlangen, eine Demokratie wie Deutschland zu werden. Das hat einen ganz einfachen Grund. Die Vergangenheit war ganz anders in Deutschland als in China. Genauso wie die Gegenwart in Deutschland ganz anders als die in China ist.

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