Hisham Matar: Geschichte eines Verschwindens (Luchterhand)


Schlimmer als der Tod ist vielleicht das spurlose Verschwinden eines geliebten Menschen. Hisham Matar, dessen Vater vor zwei Jahrzehnten von libyschen Sicherheitskräften entführt wurde, erzählt in seinem neuen Roman Geschichte eines Verschwindens, der bei Luchterhand erschienen ist, von der Verschleppung eines arabischen Dissidenten – und davon, wie diese Entführung das Leben derjenigen, die zurückbleiben, für immer überschattet und verändert.

Seit dem Tod seiner Mutter lebt der zwölfjährige Nuri el-Alfi mit seinem Vater Kamal zurückgezogen in einer stillen Wohnung in Kairo. Im Sommer verbringen die beiden einen zweiwöchigen Urlaub am Meer, in einem Hotel in Alexandria. Und hier entdeckt Nuri Mona, die junge Frau im gelben Badeanzug, die Englisch spricht und ein wenig Arabisch, und die ihn von da an vollkommen betört. Doch Mona verliebt sich in Nuris Vater, und als sie Kamal heiratet, beginnt für Nuri eine schwere Zeit. Oft wünscht er sich seinen Vater weit weg und freut sich insgeheim auf die Tage, die er allein mit seiner Stiefmutter in der gemeinsamen Wohnung in Kairo verbringen kann. Er ahnt nicht, dass sein Wunsch auf eine Weise in Erfüllung gehen wird, die sein Leben für immer verändert. Denn nur ein Jahr darauf wird Kamal Pascha el-Alfi, der gegen die eigene Regierung gearbeitet hat, von Unbekannten aus einer Genfer Wohnung verschleppt, und von da an wird Nuri kein Lebenszeichen mehr von ihm vernehmen.

Nuris weiteres Leben, seine Zeit in einem nordenglischen Internat, sein Studium in London, seine Schwärmerei für Mona sowie deren abruptes Ende, alles ist überschattet von einer Mischung aus widerstreitenden Gefühlen, von Liebe, Schuld, Reue, Angst, die den jungen Mann, zu dem Nuri im Laufe des Romans wird, prägen. Und es dauert lange, bis er die Kraft findet, den letzten Schritten seines Vaters vor dem Verschwinden nachzuspüren und sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen.

Hisham Matar erzählt von einem Trauma und wie dies Menschen aus ihrer Bahn werfen kann. In schmuckloser Prosa arbeitet er die Widersprüche und den Schmerz heraus. Er schaut dabei psychologisch analysierend auf die Zurückgebliebenen. Angesichts des arabischen Frühlings ist Geschichte eines Verschwindens ein hochaktuelles Buch.

Hisham Matar wurde 1970 in New York City geboren; seine Eltern stammen aus Libyen. Er wuchs in Tripolis und, nach der Emigration der Familie, in Kairo auf. Seit 1986 lebt Hisham Matar in London. Hisham Matars Debüt Im Land der Männer, das in 22 Sprachen übersetzt ist, wurde für die Shortlist des Man Booker Prize 2006 und des The Guardian First Book Award nominiert. 2007 wurde Hisham Matar ausgezeichnet mit dem Royal Society of Literature Ondaatje Prize, dem Commonwealth Writers' Prize, dem Premio Vallombrosa Gregor von Rezzori, dem Premio Internazionale Flaiano und dem Arab American Book Award.

Geschichte eines Verschwindens von Hisham Matar ist bei Luchterhand erschienen.
(JK 09/11)

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