Doppelpremiere mit Saša Stanišic am Donnerstag, 28. April, und am Freitag, 29. April

cohen+dobernigg Buchhandel
Donnerstag, 28.04.2016  21.00 Uhr
Sternstraße 4, Hamburg
Eintritt: 8 Euro

Buchhandlung Lüders
Freitag, 29.04.2016  20.00 Uhr
Heussweg 33, Hamburg
Eintritt: 8 Euro                                                 

Saša Stanišic stellt seinen neuen Erzählband Fallensteller, erschienen bei Luchterhand, in einer Doppelpremiere bei cohen + dobernigg und in der Buchhandlung Lüders (29.4.) vor.

Von Europa und den Flüchtlingsströmen, von Krieg und Vertreibung, von all den Durchreisenden und dem Durcheinander in einer haltlosen Zeit erzählt Saša Stanišic in seinem neuen Erzählband Fallensteller. Doch zum Ereignis werden seine Geschichten nicht durch die Brüche der großen Geschichte, von denen sie eher beiläufig und in den Provinzen, von den Rändern des Weltgeschehens her erzählen, sondern durch ihre grandiose sprachliche Mikroökonomie und ihr subtiles Spiel mit Realität, Täuschung und Illusion. Ach ja – und wer sagt eigentlich, dass ernste Bücher nicht auch sehr unterhaltend sein können?

Saša Stanišic, der 1978 in Višegrad, einer Kleinstadt im östlichen Bosnien geboren wurde und 1992 mit seinen Eltern nach Deutschland geflohen ist, wurde schon mit seinem in 31 Sprachen übersetzten Debütroman Wie der Soldat das Grammofon repariert (2006) als Ausnahmetalent der jungen Literatur in Deutschland gefeiert und vielfach ausgezeichnet. Er hat sich daraufhin mehrere Jahre Zeit für eine Art ethnologische Tiefenbohrung in Fürstenwerder genommen, einem Dorf in der Uckermark. Bei seinem 2014 erschienenen Roman Vor dem Fest war dann von Talent nicht mehr die Rede, sondern von „Weltliteratur“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Der unisono gefeierte Bestseller erzählt mit viel Sympathie für die Dörfler und einer großen Portion Humor in Geschichten, Legenden und Fabeln die Chronik eines prototypischen Dorfes im deutschen Osten. In Fürstenwerder gibt es dank des „Jugo-Schriftstellers“ einen regelrechten Literaturtourismus. Doch der ändert auch nichts daran, dass in Fürstenfelde, so heißt das literarische Pendant von Fürstenwerder, die Menschen in den letzten Jahren weniger und die Tiere mehr geworden sind.

Das ist die Ausgangssituation von Fallensteller, der titelgebenden Erzählung des neuen Bandes, mit dem Stanišic noch einmal nach Fürstenfelde zurückkehrt, wo Lada seinen Golf „zum vierten Mal binnen zwei Jahren im Tiefen See“ parkt. Für sich genommen wäre das nichts Besonderes, würde nicht gleichzeitig ein seltsamer Vogel auftauchen, ein Fallensteller, der sich ziemlich gestelzt ausdrückt, prompt eine Ratte in Ullis Garage einfängt und schlagartig berühmt wird. Einige Wochen später ist dann ganz Fürstenfelde auf die Einflüsterungen dieses Rattenfängers reingefallen, mit bösen Folgen: „Die betrügen wollten, fanden sich betrogen. Die Misstrauischen wurden zu ihrem Nachteil belogen. Die Überlebenden vorgeführt. Und Förster Fritz sechs Tage lang entführt.“ Man trennt sich, wie so oft in der Provinz, fast einvernehmlich, der Fallensteller macht sich wieder auf die Reise, und Lada fährt nach Hamburg, wo er, zum Schriftsteller gereift, bei einer Preisverleihung von einem Wanderer erzählt, in dessen „Gepäck“ sich „Sprache, Mut und Zauberei“ befinden.

Dieser Wanderer durchstreift im Verborgenen alle Erzählungen von „Fallensteller“, ob sie von „christlichen Menschenrechtsaktivisten“ erzählen, die ein „Rheinfest“ feiern, von Freddie und seiner „großen Illusion“, von einem Pizzaalbaner und seiner Machete, der Opfer einer Erpressung wird und dabei den syrischen Surrealismus kennenlernt, von einer Fabrik auf dem Balkan, mit der sich die Europäische Union verspekuliert, von Rebecca, von Kosovaren, von der Ornithologin Elfriede Jelinek, von all den Vögeln, die ständig durch diese Geschichten flitzen: Sperlinge, Turteltauben, Kanarienvögel, Rabenvögel. Sie sind Durchreisende, so wie die Flüchtlinge, für die im Norden Norwegens ein florierender Handel mit Fahrrädern stattfindet, damit sie unbehelligt über die russische Grenze nach Europa radeln können. Es ist ein Bild, das unvermittelt auftaucht und befremdet, so als wäre es nicht aus dieser Welt, man kann nur darüber staunen und mit Saša Stanišic, dem stets der Schalk im Nacken sitzt, sogar darüber lachen. Dieses Erstaunen, dieses aufrichtige, vorurteilfreie und beherzte Hinsehen, begreifen und erfahren wollen, das sich da mitteilt, ist es, was die Literatur Saša Stanišics antreibt und so einmalig macht.

Wer Stanišic und das sympathisch rollende R, das ihm aus seiner Kindheit geblieben ist, erleben will, hat Glück und muss einfach nur hingehen und zuhören. „Heimat ist“, sage ich (…), „wo man sich nichts vornehmen muss“, heißt es in einer der Erzählungen. Für diesen Abend gilt die dringende Empfehlung: Nimm dir vor Saša Stanišic zu hören!

Fallensteller von Saša Stanišic ist bei Luchterhand erschienen.
(JK 04/16)

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