Ma Jian: Die dunkle Straße (Rowohlt)

Der im Londoner Exil lebende chinesische Autor Ma Jian hat einen bewegenden Roman über das Leben der einfachen Menschen im China von heute geschrieben. Er trägt den Titel Die dunkle Straße und ist bei Rowohlt erschienen.

Weit entfernt vom chinesischen Wirtschaftswunder und den hellen Lichtern von Peking und Shanghai liegt ein riesiges ländliches Hinterland, das die brachialen Folgen von Industrialisierung und Ökonomisierung zu tragen hat. Dort leben die Bäuerin Meili und ihr Mann Kongzi, ein Nachkomme von Konfuzius in der sechsundsiebzigsten Generation. Die beiden wollen neben ihrem ersten Kind, einem Mädchen, einen Sohn, um das Erbe fortzusetzen. Da Ihnen die Behörden, die für alle die Ein-Kind-Ehe vorschreiben, mit Zwangssterilisation drohen, fliehen sie. Auf dem Jangtse, einem letzten Hort staatlicher Unorganisiertheit und mithin gewisser Freiheiten, führen sie ein illegales Tagelöhner- und Flussnomadenleben. Jahrelang schlagen sie sich auf vergifteten Gewässern und in ruinierten Landschaften durch, bevor sie schließlich auf einem Müllplatz für die Ausschlachtung westlichen Elektronikschrotts landen.

Bei Ma Jian stehen die einfachen Menschen im Vordergrund und ihre dramatischen Schicksale im Zuge eines gewaltigen politischen Umbruchs. Sein erschütternder Roman über ihr Leben ist Geschichte von unten; es ist auch die Geschichte des Jangtse, seiner ökologischen Krisen durch Staudammbau und Begradigung; es ist die Geschichte der chinesischen Industrialisierung und des Preises, den die Menschen dafür zu zahlen haben – ein ungeschminktes, schockierendes Porträt von China im Wandel.

Obwohl Ma Jian als Dissident im Exil sich als Oppositioneller definiert und praktisch jeden Aspekt der offiziellen chinesischen Politik kritisiert, ist er ein außergewöhnlicher Schriftsteller, der in seinen Büchern auf einfache Art und Weise einen Sinn für Avantgarde mit unbequemen Humor verbindet und dies unablässig mit seiner Wut über die sozialen Verwerfungen in China der vergangenen 30 Jahre unterlegt. Sein neuer Roman ist dabei noch wütender und stellt sich in noch offenerer Konfrontation als seine bisherigen Bücher. Ma Jian zeichnet ein trostloses, kaum erträgliches Bild seiner Helden. Dies gelingt ihm in virtuoser, beeindruckender Art.

Ma Jian, geboren 1953 in Qingdao, lebte als Schriftsteller und Maler in Peking, später in Hongkong, seit 1999 im Londoner Exil. Einige seiner Werke waren unter dem Verdacht der „geistigen Verschmutzung“ in China verboten. Zuletzt erschien sein Roman Peking Koma, ein kritisches Porträt der chinesischen Gesellschaft von der Kulturrevolution bis heute.

Die dunkle Straße von Ma Jian ist bei Rowohlt erschienen.
(JK 12/15)

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