Der neue Spionagethriller
Leaving Berlin vom amerikanischen Bestsellerautor Joseph Kanon, der bei
C. Bertelsmann erschienen ist, spielt in Berlin im Jahre 1949.
Die Stadt liegt immer
noch in Trümmern. Der Kalte Krieg hat begonnen, der Westteil der Stadt kann nur
noch durch eine Luftbrücke versorgt werden. Im Ostteil formiert sich die DDR
als sozialistischer Staat. Schwarzmarkt und Spionage sind an der Tagesordnung.
Selbst die Kultur ist zu einem ideologischen Schlachtfeld geworden. Der
Schriftsteller Alex Meier war 1933 vor den Nazis in die USA geflohen und hat dort
Fuß gefasst. Doch das McCarthy-Regime hat seine politische Vergangenheit
durchleuchtet und ihn aus den USA ausgewiesen. Er geht nach Ostberlin, wo sich
auch Bertold Brecht, Helene Weigel und Ruth Berlau niedergelassen haben. Die
CIA bietet ihm die Chance auf eine Rückkehr in die USA, wenn er seine Schriftstellerkollegen
ausspioniert. Doch die Sache läuft aus dem Ruder, als Alex erfährt, dass er die
Frau verraten soll, die er einst über alle Maßen geliebt hat und in Deutschland
zurücklassen musste.
Joseph Kanon fängt
geschickt die Atmosphäre einer Stadt ein, die auch fast vier Jahre nach der Niederlage
der Nazis noch immer eine Trümmerwüste ist. Seine Dialoge klingen zwar manchmal fast wie eine
Parodie auf die Thriller aus dem Kalten Krieg und manche seiner Wendungen in
der Story sind sehr kühn, z.B. Meiers Wandlung über Nacht von einem naiven
Antagonisten zu einem fehlerlosen Superspion, der die Züge seiner Gegner
bereits im Voraus erkennt. Doch Kanon halt die Story am Laufen und reichert den
Haupterzählstrang mit Episoden an, die die Atmosphäre von Doppelzüngigkeit und
Misstrauen plastisch werden lassen. Insgesamt schafft es Kanon viele starke
Bildern einer Stadt heraufzubeschwören, die ihre mörderische Vergangenheit
gegen eine brutale neue Realität eingetauscht hat, von Bürgern, die sich in
moralische Kompromisse verstricken, um einfach überleben zu können.
Joseph
Kanon, geboren 1946 in Pennsylvania, studierte am Trinity College in Cambridge
und leitete u.a. viele Jahre einen renommierten amerikanischen Verlag, bevor er
sich ganz dem Schreiben widmete. Sein Roman Die Tage vor Los Alamos
wurde 1997 mit dem Edgar Award für das beste Debüt ausgezeichnet, ihm folgten
mit Der verlorene Spion und In den Ruinen von Berlin (verfilmt
unter dem Titel The Good German), Stadt ohne Gedächtnis und Die
Istanbul Passage, vier ebenfalls viel beachtete Werke. Kanon lebt mit
seiner Frau, der Literaturagentin Robin Straus, in New York.
Leaving Berlin von Joseph Kanon ist bei C. Bertelsmann erschienen.
(JK 02/16)
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