Smith Henderson: Montana (Luchterhand)

Ein großer, packender amerikanischer Roman, der eine ganz eigene Stimme hat und der wie Richard Ford, Jonathan Franzen oder Cormac McCarthy wichtige Themen berührt, die diese komplexe und widersprüchliche Nation ausmachen. Das ist der bei Luchterhand erschienene Debütroman Montana des amerikanischen Autors Smith Henderson.

In den abgeschiedenen Tälern und nahezu undurchdringlichen Bergwäldern im Nordwesten von Montana ist der Sozialarbeiter Pete Snow in der kleinen Stadt Tenmile unterwegs, um Kindern zu helfen. Da gibt es drogensüchtige Mütter, gewalttätige Väter, Waffen- und Bibelnarren, aber vor allem die ganz normale Armut. Es gibt viel zu tun in den Dörfern und abgelegenen Farmen mitten in der Wildnis. Das Leben vieler Leute ist geprägt von Armut, Gewalt, Alkohol und Drogen, und oft steht Pete zwischen seinen Klienten und der Polizei. Über sein eigenes Leben verliert Pete zusehends die Kontrolle, vor allem als seine halbwüchsige Tochter Rachel davonläuft und er immer wieder vergeblich nach ihr sucht. Eines Tages trifft Pete in Tenmile auf Benjamin Pearl, einen unterernährten elfjährigen Jungen, der offenbar in der Wildnis lebt, und als er dessen Vater kennenlernt, stößt er fast an seine Grenzen, als Sozialarbeiter wie als Mensch. Denn Jeremiah Pearl ist ein paranoider Anarchist, der außerhalb des Gesetzes lebt. Nach und nach gewinnt Pete Jeremiahs Vertrauen, und eine seltsame Annäherung findet zwischen den beiden so unterschiedlichen Vätern statt. Bis plötzlich Polizei und FBI in Aktion treten, die Jeremiah Pearl schon länger im Visier haben…

Was sollte man aufgeben und woran sollte man festhalten? Was wird für immer beschädigt bleiben und was verblasst mit der Zeit als Narbengewebe? Smith Henderson erforscht diese Fragen in seinem Buch, das reich an einprägsamen Figuren ist und sich sprachlich auszeichnet. Das ländliche Montana in den Jahren 1979 bis 1981 bildet die Kulisse. Es war die interessante Zeit des Übergangs von Jimmy Carter zu Ronald Reagan, von Ölknappheit und Geiselkrisen zur marktliberalen Wirtschaftsordnung und dem Ende des Kalten Krieges. Die Größe des Romans bezieht er aus Hendersons Fähigkeit, die Kämpfe eines einfachen Mannes in Beziehung zu setzen mit den breiteren Strömungen der amerikanischen Kultur, sowohl seiner Segnungen als auch seiner Übel, und diese subtil zu verbinden. Das Ergebnis ist eine Geschichte, die gleichzeitig intim und großartig ist. Sie umfasst eine spektakuläre Auswahl an schrecklichen Ereignissen. Dies kann die Endzeit für die Figur Jeremiah Pearl sein, aber es ist auf jeden Fall der Anfang für Smith Henderson.

Smith Henderson, geboren und aufgewachsen in Montana, hat als Sozialarbeiter und Gefängniswärter sowie in einer Werbeagentur gearbeitet und lebt inzwischen als Schriftsteller in Los Angeles. Für seine Shortstorys erhielt er mehrere Preise, darunter 2011 den PEN Emerging Writers Award. Sein erster Roman Montana löste in den Feuilletons amerikaweit Begeisterung aus, wurde in zahlreichen Zeitungen als eines der „Best Books of the Year“ empfohlen, wurde ausgezeichnet mit dem Montana Book Award 2014 und kam auf mehrere Shortlists, u.a. für den Ken Kesey Award for the Novel und den Fiction’s Flaherty-Dunnan First Novel Prize.
 
Montana von Smith Henderson  ist bei Luchterhand erschienen. 
(JK 08/16)

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