Lüders Buchhandlung + Antiquariat
Donnerstag, 11.05.2017
20.00 Uhr
Heußweg 33, Hamburg
Eintritt: 8 Euro. Die
Veranstaltung ist leider bereits ausverkauft.
Geschichten wie diese erfährt man
sonst aus Sozialreportagen über das Leben von Menschen mit
Migrationshintergrund und manchmal werden sie auch zur Nachricht, die landauf
und landab in den Medien kursiert. In Schnipseln aus Polizeiberichten, O-Tönen
von Betroffenen und Allgemeinplätzen setzt sich dann ein Geschehen zusammen,
das so verknappt nicht fassbar wird. Die in Berlin lebende taz-Redakteurin
Fatma Aydemir erzählt in ihrem Romandebüt Ellbogen,
das bei Hanser erschienen ist, eine dieser Geschichten. Sie erzählt von Hazal,
die im Berliner Wedding geboren wurde, aufgewachsen ist und eigentlich auch
nichts anderes kennt als ihren Kiez, bis sie ihre Wut nicht mehr im Griff hat.
Es
beginnt ganz harmlos und mit einem geklauten Lippenstift, den ein kleines Mädchen
in einem Supermarkt mitnimmt, ohne so genau zu wissen, warum und wozu. Als die
Mutter der kleinen Hazal davon erfährt, flippt sie völlig aus und schlägt sie.
Man fragt sich an dieser Stelle des Romans natürlich, ob es so weiter geht mit
dieser typischen Migrationsgeschichte: Hazals Vater ist Taxifahrer, der seine
Freizeit mit Freunden im Café verbringt, die Eltern führen eine lieblose
Beziehung, der Bruder ist ein Kleinkrimineller, der zu Hause alle Freiheiten
genießt, während von Hazal erwartet wird, dass sie sich klein macht. Kurz vor
ihrem siebzehnten Geburtstag wird sie dann wieder beim Klauen erwischt, doch
das ist nur das böse Vorzeichen eines Gewaltausbruchs in ihrer
Geburtstagsnacht. Gemeinsam mit ihren Freundinnen begeht sie in der U-Bahn ein Verbrechen,
für das es keine Entschuldigung gibt. „Dieser Tritt, das bin ich“, sagt sie,
und spart sich jeden Versuch einer Erklärung, schließlich war sie nicht nur in
der Nacht wütend, sie war es schon vorher die ganze Zeit über. Hazal flieht
daraufhin nach Istanbul, das sie bisher nur aus dem Fernsehen kennt und gerät
dort in ein zum Zerreißen gespanntes Klima, in dem ihre Suche nach Halt und
nach Heimat ebenso scheitert wie im Wedding.
Fatma
Aydemir stellt mit Ellbogen die große
Frage: „Was kann aus einem Mädchen wie Hazal in dieser Welt werden?“ Und sie
gibt in einer knappen, dialogstarken Sprache eine Antwort, die eine Ohrfeige
für die liberale Mehrheitsgesellschaft, für diese satte Verlogenheit der so
toleranten und wohlsortierten Deutschen ist, und eine Ohrfeige für die
patriarchale und frauenfeindliche türkische Gesellschaft.
Fatma
Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren. 2007 bis 2012 studierte sie
Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2012 lebt sie in
Berlin und ist Redakteurin bei der taz. Als freie Autorin schreibt sie daneben
für zahlreiche Zeitschriften, unter anderem Spex und das Missy Magazine.
Ellbogen
von Fatma Aydemir ist bei Hanser erschienen.
(JK 05/17)
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