Frankreich – Ehrengast 2017 der
Frankfurter Buchmesse
Die
Stille von Chagos behandelt das Schicksal der Chagossianer, einer Volksgruppe,
die auf den Inseln des Chagos-Archipels im Indischen Ozean lebte, bis sie ab
Mitte der 1960er Jahre von dort vertrieben wurde. Die Chagos-Inseln gehören
noch zum britischen Territorium und wurden für 50 Jahre an die USA verpachtet,
die dort eine Militärbasis errichtet haben. Von hier wurden und werden
Luftangriffe auf Afghanistan und den Irak geflogen. Die Inselbewohner hat man
zwangsumgesiedelt – die meisten landeten in Slums in der mauritischen
Hauptstadt Port Louis. Die Vertriebenen kämpfen bis heute vor Gericht
vergeblich um ihre Rückkehr.
Der
Roman zeigt aus verschiedenen Perspektiven die Schicksale mehrerer
Chagossianer. Da ist Charlesia, die mit ihrer Familie nach Mauritius fährt, da
ihr Mann im Krankenhaus behandelt werden muß, und plötzlich und ohne jede
Information nicht mehr auf ihre geliebte Insel Diego Garcia zurückkehren kann.
Da ist Tony, ein Hafenarbeiter auf Mauritius, der Charlesia immer wieder am Kai
stehen sieht, sehnsüchtig aufs Meer starrend. Da ist Désiré, der nach der
Verschleppung seiner Mutter auf der Schiffsreise nach Mauritius geboren wird
und sich zwischen den Welten fühlt. Und da ist der Schiffskapitän, der Gewissensbisse
hat, weil er die Inselbewohner gegen deren Willen wegbrachte, nachdem er
jahrelang mit Lebensmittellieferungen zu der isolierten und weitgehend
unberührten Insel gekommen war.
Erzählt
wird vom Leben auf Diego Garcia, von den Festen, dem Essen und dem Alltag, und
von dem Leben auf Mauritius, das in starkem Kontrast zu dem paradiesischen
Inselleben steht. Die tschagos-kreolischen Einschübe in Dialogen und Liedern
bringen die fernen Inseln sprachlich ein wenig näher. Die Frage, was es
bedeutet, heimatlos und entwurzelt zu sein, ist heute aktueller denn je. Der
Roman spürt sensibel den verschiedenen Varianten des Unrechts nach, das den
Chagossianern vor rund 50 Jahren widerfahren ist. Der Pachtvertrag mit den USA
sollte eigentlich im Jahr 2016 auslaufen, jedoch wird sich die Nutzung
voraussichtlich bis 2036 verlängern.
Shenaz
Patel (1966 geboren) ist Roman- und Theaterautorin und Journalistin. Sie wurde
auf Mauritius geboren und schreibt sowohl auf Französisch als auch auf Morisyen
(Mauritius-Kreolisch). Sie engagiert sich für die Mauritius-kreolische Sprache
und übersetzt in das Kreolische – z.B. Tim und Struppi oder Warten auf
Godot. Die Stille von Chagos ist ihr dritter Roman, er erschien im
Jahr 2005. Shenaz Patel verfasste für die deutsche Ausgabe ein Nachwort, das
die politischen Entwicklungen der letzten Jahre nachzeichnet.Zuletzt hat Shenaz
Patel einige Graphic Novels verfasst und arbeitet an einer Tetralogie von
Graphic Novels über die Geschichte von Mauritius.
Die Stille von Chagos von Shenaz Patel ist bei Weidle
erschienen.
(JK 10/17)
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