Buchhandlung
Heymann in Blankenese
Dienstag, 19.02.2019 19.30
Uhr
Erik-Blumenfeld Platz 27, Hamburg
Eintritt: 12 Euro
Auszeit in Bölls Cottage: Birgit Vanderbeke liest aus
ihrem Roman Alle, die vor uns da waren, der bei Piper erschienen ist. Andreas
Platthaus moderiert den Abend.
Ihr furioses Debüt, die
Erzählung Das Muschelessen (1990), mit der Birgit
Vanderbeke in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gewann und die
bis heute Schullektüre ist, führt mitten hinein in die Abgründe einer deutschen
Nachkriegsfamilie. Birgit Vanderbeke hat seitdem fast im Jahresrhythmus
nachgelegt: Ein Bestseller wurde Alberta empfängt einen Liebhaber
(1997), als Persiflage auf das linksliberale Bürgertum kann man den Roman Das
lässt sich ändern (2011) lesen, als Öko-Roman Der Sommer der
Wildschweine (2014). Die Kritik ist der vielfach ausgezeichneten Autorin
zuletzt nicht immer mit Wohlwollen gefolgt. Geändert hat sich das mit der
Trilogie, die in dem soeben neu erschienenen Band Alle, die vor uns da waren
ihren Abschluss findet. Birgit Vanderbeke ist damit zurückgekehrt in den
familiären Kosmos, von dessen monströsen Entgleisungen sie mit so großer
Klarheit und lakonischem Witz erzählt wie kaum eine andere Autorin in der
deutschen Gegenwartsliteratur.
Der Auftaktband heißt Ich
freue mich, dass ich geboren bin (2016). Er erzählt die Geschichte einer
Familie, die aus Ostdeutschland ins „Land der Verheißung“ flieht und von einem
siebenjährigen Mädchen, für das die Welt in Ordnung ist, bis es ihren zuvor
meist abwesenden Vater kennenlernt: „Das Kennenlernen fing mit den Händen an
und der Rest kam hinterher, und es war sehr unheimlich, weil es dunkel war und
ich noch nicht sprechen konnte.“ Die siebenjährige Ich-Erzählerin flieht aus
der gewalttätigen Gegenwart in eine magische Kindheit und konstruiert sich ein
erwachsenes Ich, das ihr zur Seite steht. Im Folgeband Wer dann noch lachen
kann (2017) sind Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwoben. Wir
begegnen einer Heldin, die durch einen Autounfall und dadurch ausgelöste
chronische Schmerzen auf Ereignisse in ihrer Kindheit zurückgeworfen wird. Sie
sind der eigentliche Grund für ihr Leiden in der Gegenwart. Nach und nach
erfährt man von den Schrecken einer Kindheit, in der Gewalt zum Alltag gehörte.
Damals war die Erzählerin sich sicher, dass es niemanden gibt, der an ihrer
Seite steht. An dieser Stelle der „in scheinbar kindlich naiver Sprache“ (Nürnberger
Nachrichten) erzählten Ereignisse setzt der dritte Band der Trilogie Alle,
die vor uns da waren ein.
Die Erzählerin,
mittlerweile selbst Großmutter, reist mit ihrem Mann für einen
Stipendienaufenthalt in Heinrich Bölls Cottage nach Irland. Auf Achill Island
an der Küste von Mayo gibt es kein Internet und noch nicht einmal einen Laden,
in dem sie sich mit den Grundnahrungsmitteln versorgen können, aber von Anfang
an die Gewissheit, dass in diesem von der Zerrissenheit der Familie geprägten
Leben doch immer jemand da war, der aufpasste. Plötzlich sind ganz
selbstverständlich all jene anwesend, die, trotz aller Verletzungen, Familie
sein können, auch wenn die Welt dann für einen Moment den Atem anhalten muss:
Oma Maria, aber auch „der Gerhard Zwerenz“, „der Böll“ und „die Helga“. Sie
können zwar nichts mehr daran ändern, was geschehen ist, aber ihre Anwesenheit
macht Mut, für das, was kommen wird.
Alle, die vor uns da waren von Birgit Vanderbeke ist bei Piper erschienen.
(JK 02/19)
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