Mysteriöse Küsten

Frankreich Krimis sind en vogue und lassen Pseudonyme sprießen.  Doch wer steckt hinter den Geschichten um kulinarische Morde und tödliche Liebesdramen?

Als Hort des Weines, als Mekka der Küche und als Ferienparadies kennt man Frankreich. Aber auch als Schauplatz von Krimis wird das Land immer häufiger gewählt – und das von französischen Autoren, deutschen und Autoren mit Pseudonym. 

Beliebt bei allen Krimifans ist bereits der Kommissar Dupin. Vielleicht auch ein wenig deswegen, weil über die wahre Identität der Autors Jean-Luc Bannalec viel spekuliert wird. In Bretonisches Gold, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, dem nun dritten Fall, verschlägt es Dupin in die Salzgärten der Halbinsel Guérande, auf der das weltberühmte Fleur de Sel gewonnen wird. Als Dupin dort auftaucht, wird auf ihn plötzlich geschossen! Gemeinsam mit der örtlichen Kommissarin Rose beginnt er mit den Ermittlungen. Das ungleiche Paar hält das Romangeschehen in Schwung; neben der Lösung des durchaus komplexen Falls erfährt der Leser viel Wissenswertes über die Guérande und die Salzgewinnung, über bretonische Eigenheiten und Legenden. Bretonisches Gold liest man mit demselben Genuss, mit dem Dupin seine Seezunge „in gesalzener Butter goldbraun gebraten“ verspeist.

Nach Sainte-Valérie, ein idyllisch-bukolisches Städtchen in der Provence, ist der Pariser Kommissar Pierre Durand geflohen, um hier beschaulicher zu leben als in der mörderischen Seine-Metropole. Doch wie so oft, kommt es anders, als man denkt: Im neu eröffneten Luxushotel wird der Dorf-Casanova tot aufgefunden – in Rotwein ertränkt, frei nach dem Rezept „Coq au Vin“. Als weitere Morde nach kulinarischer Manier geschehen, weiß Duran nur eines: Jeder in Sainte-Valèrie könnte der Mörder sein, denn alle hier essen und trinke für ihr Leben gern! Doch trotz des beharrlichen Schweigens der Dorfbewohner verdichten sich die Hinweise,: Die örtliche Tourismuslobby ist eine Neidgemeinschaft. Provenzalische Verwicklungen, erschienen bei Blanvalet, ist der erste Provence-Krimi von Sophie Bonnet – hinter dem Pseudonym verbirgt sich eine deutsche Erfolgsautorin. Bonnet kennt die Provence, die Menschen und die Küche dort. Ihrer ersten gelungenen „Cuisine criminelle“ sollen weitere Krimis mit Kommissar Durand folgen.

Ein Krimidebüt liefert Christine Cazon, eine unter Pseudonym schreibende deutsche Autorin, die in Cannes lebt. Beim Filmfestival wird der berühmte Dokumentarfilmer Serge Thibaut während der Premiere seines jüngsten Werks erschossen. Kommissar Duval, aus Paris in den Süden versetzt, nimmt die Ermittlung auf. Die Schönen, Reichen, die Stars und Starlets treten in Mörderische Côte d’Azur, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, auf und Cazon bedient so manches bekannte Klischee, doch Handlungsidee und Plot sorgen für neue Spannung.

Der Autor Cay Rademacher ist Deutscher und Wahlfranzose zugleich, denn erlebt mit seiner Familie in der Provence. Er weiß also genau, wohin er seinen Capitaine Roger Blanc schickt, wenn er ihn in die tiefste Provinz der Provence versetzt. Blanc, eigentlich Leiter eine Spezialeinheit in Paris, war dort einer Machenschaft auf höchster Ebene auf der Spur. Nun hat man ihn kalt gestellt. Zusätzlich ist seine Ehe am Ende. Die erste Leiche, mit der er in der Provinz Bekanntschaft macht, findet sich  auf einer Müllkippe. Sie wurde mit einer Kalaschnikow durchsiebt, was aber Blancs Kollegen nicht weiter erstaunt: „Die Dealer schießen sich damit gegenseitig in die ewigen Jagdgründe. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.“ Doch dieser erste Mord ist für Blanc nicht der letzte und alsbald holt den „Flic“ seine Pariser Vergangenheit in der Provence ein. Mit Mörderischer Mistral. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc, erschienen bei Dumont, hat Cay Rademacher ein ganz besonderes Genre-Bild geschaffen: Der Erzählstil, die Dialoge, der Verlauf der Handlung sind einfach stimmig – das ist mehr als gute Krimiunterhaltung!

Im idyllischen Städtchen Saint-Denis, Teil des Périgord, lebt, liebt, kocht, trinkt und ermittelt der Chef de Police Bruno. Leser der Krimis des Schotten Martin Walker wissen das. In Reiner Wein, erschienen bei Diogenes, dem nun schon sechsten Fall, gilt der Spruch „In Vino Veritas“. Nur ist die Wahrheit schmutzig, hat mit Kunstraub, Morden im Homosexuellen-Milieu und mit Machenschaften der Résistance zu tun. Gut, dass Bruno so manchen guten Tropfen und so manches schmackhafte Rezept dem düsteren Treiben entgegenhält.

Die Pariser Kommissarin Isabelle Bonnet ist hart im Nehmen. Doch als sie knapp ein Bombenattentat überlebt, lässt sie sich für einige Zeit versetzen: ins Städtchen Fragolin im Hinterland der Côte d’Azur. Doch zur Ruhe kommt sie dort nicht. In einer Villa wird eine Frauenleiche gefunden, und der Hausherr, ein mysteriöser Engländer, ist spurlos verschwunden. Der unter Pseudonym schreibende Autor Pierre Martin hat mit Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer, erschienen bei Knaur, einen Krimi mit Spannung, viel Witz und Lokalkolorit geschrieben. Allein, weniger Einsprengsel wie „Merde“, „C’est pas possible“, „Naturellement“ etc. hätten dem Roman gut getan.

In Perpignan und Umgebung, Roussillon genannt, kann es sehr heiß sein. Es kann aber auch heiß hergehen. Das muss sich der alternde Inspecteur Gilles Sebag eingestehen. Da wird auf einem Campingplatz eine Leiche gefunden: Eine holländische Touristin ist auf brutalste Weise ermordet worden Aber dabei bleibt es nicht. Ein Taxifahrer namens Lopez verschwindet, und es meldet sich ein Elternpaar, das befürchtet, der Tochter Ingrid sei etwas zugestoßen. Sebag ist bald klar, dass alle drei Fälle miteinander zu tun haben. Dem französischen Autor Philippe Georget ist mit Dreimal schwarzer Kater. Ein Roussillon-Krimi, erschienen bei Ullstein ein stimmungsreiches Buch gelungen: Kriminalistischer Feinsinn und südfranzösisches Flair verbinden sich gekonnt. Die einzelnen Figuren sind lebendig geschildert. Das betrifft besonders Inspecteur Sebag und die Darstellung seines Berufs- und Familienlebens.

„Eine Leiche vor dem Aufstehen – das hatte ihm gerade noch gefehlt.“ Commissaire Lucien Lefevre, eine Art südfranzösischer George Clooney, ist wenig erfreut, zumal im August meist wenigzu tun ist und der Sommre zu genießen wäre. „Ein Franzose besaß schließlich Stil und liess sich nicht ausgerechnet in den großen Ferien umbringen“, sinniert der Protagonist. Doch es hilft alles nichts, Lefevre muss von Bordeaux an den beschaulichen Küstenort Contis-Plage fahren und den Mord aufklären. Thomas Schumacher heißt der Tote, der als Kind hier aufwuchs, wegging und später zurückkehrte, um einen Bauernhof zu kaufen. Er ökologisch orientierte junge Mann ist einem Geheimnis auf die Spur gekommen, das mit dem Brutverhalten seltener Vögel zu tun hat. Damit steht er der örtlichen Tourismuswirtschaft im Weg. Julie Masson – der Verlagsvita zufolge eine Französin, in Wahrheit aber ein Pseudonym – ist mit ihrem Kriminalroman Pastis für den Commissaire, erschienen bei Rowohlt, ein sehr lesbarer Mix aus Spannung, Lokalkolorit und Liebesgeschichte gelungen.

Normalerweise werden die Kommissare aus der Hauptstadt in die Provinz geschickt, bei Alexis Ragougneau ist alles anders: Sein „Flic“ ist in Wahrheit ein Priester, der in den Sommermonaten nach Paris kommt, um den Pfarrer von Notre-Dame zu vertreten. Und genau in dieser berühmten Kathedrale geschieht ein Mord. Ein Geistlicher als Fahnder? Warum nicht – „Der Ermittler ist für die Kripo, was der Priester für die Kirche ist: Er sucht nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Ais diesem Grund ist Pater Kern entstanden“, erklärt Alexis Ragougneau, der bislang Theaterstücke geschrieben hat. Sein Krimi Die Madonna von Notre-Dame. Ein Fall für Pater Kern, erschienen bei List, lebt von ausgefeilten Dialogen und gelungenen Beschreibungen der handelnden Personen. Sein kleiner, kränklicher und zugleich sehr menschlicher Pater ist Sympathieträger. Weitere Fälle für Pater Kern hat der französische Autor schon angedacht, Der Franzosenkrimi ist also nicht mehr wegzudenken. Vive la France! Vive l polar!

(Der Beitrag erschien zuerst in Börsenblatt 24/2014 von Andreas Trojan)


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