Claude Simon: Das Pferd (Berenberg)

Frankreich – Ehrengast 2017 der Frankfurter Buchmesse

Ein französisches Dragonerregiment bezieht in einer finsteren Regennacht Quartier in einem nordfranzösischen Dorf und wird zum Zeugen des langsamen Sterbens eines verletzten Armeepferdes. In der Agonie des Tieres und in seinen großen Augen spiegelt sich die Apokalypse des Krieges in einer fast intimen Szenerie. Die Soldaten, der Erzähler und Maurice, der Jude, der weiß, was kommen wird, versuchen, in der Dunkelheit der Regennacht ihr eigenes Schicksal zu ergründen. 

Claude Simons Erzählung von 1958 führt mitten hinein in das thematische Universum des Nobelpreisträgers: das französische Debakel im Zweiten Weltkrieg und das Schicksal des in deutsche Gefangenschaft geratenen Kavalleristen Claude Simon.  Eine literarische Trouvaille, in der die wichtigsten Motive und Handlungsstränge aller späteren Romane des Nobelpreisträgers bereits angelegt sind.

Claude Simon, geboren 1913 in Tananarive, Madagaskar, erhielt 1985 den Nobelpreis für Literatur. Simons literarisches Werk besteht hauptsächlich aus Romanen. Als Teil der literarischen Bewegung des Nouveau roman weichen seine Werke deutlich von den klassischen Beispielen dieser Gattung aus dem 19. Jahrhundert ab, typisch ist z. B. das Fehlen eines Allwissenden Erzählers, der den Leser durch eine spannende oder zumindest interessante Geschichte mit einer chronologischen, durchgehenden Handlung führt. Auch der Erzähler scheint keine tiefere Einsicht in das Geschehen zu besitzen, er beschränkt sich weitgehend auf äußerliche Beschreibung, ohne dass die Einzelheiten deutlich erkennbar in einen übergeordneten Handlungsstrang eingeordnet erscheinen. Eine psychologische Charakterisierung der Romanfiguren bzw. Erklärung ihrer Handlungen findet nicht statt, stattdessen erfährt man in umfangreichen Passagen aus Innerem Monolog und Erlebter Rede etwas über Gedanken und Motive einiger Protagonisten. Der Roman insgesamt ist aus einer Aneinanderreihung zahlreicher fragmentierter Handlungsstränge aufgebaut, die unvermittelt abbrechen (bisweilen mitten im Satz) und später im Text wieder aufgenommen werden können. Die Stränge sind inhaltlich durch ein dichtes Beziehungsgeflecht miteinander verbunden, ohne dass sich allerdings so etwas wie eine chronologische Handlung ergibt. Wiederkehrende Themen in Simons Romanen sind Geschichte einschließlich der eigenen Familiengeschichte, Krieg und die darin gemachte Erfahrung extremer Gewalt. 1961 erhielt er für La Route des Flandres den Preis der Zeitschrift L’Express, 1967 den Prix Médicis für Histoire. 1985 wurde ihm zur Überraschung weiter Teile der Fachwelt und der Öffentlichkeit der Nobelpreis für Literatur verliehen. 1987 wurde Simon in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 1996 erhielt er das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. Claude Simon starb 2005 in Paris.

Das Pferd von Claude Simon ist bei Berenberg erschienen. 
(JK 08/17)

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