Antonio Ruiz-Camacho: Denn sie sterben jung (C.H. Beck)

José Victoriano, der Patriarch der wohlhabenden Familie Arteaga, wird entführt. Er ist nur eines von unzähligen Opfern der Drogenkartelle in Mexiko, doch für seine Angehörigen ändert sich schlagartig alles. Mit dem Tode bedroht, treten sie die Flucht an, in die USA, nach Europa. Antonio Ruiz-Camacho erzählt in acht ineinander verschränkten Geschichten den Zerfall einer Familie, schildert ihre Schicksale in der Fremde, die Versuche, dort Fuß zu fassen und deren Scheitern.

In Austin, wo Tochter Laura nun mit ihrer Familie zu Hause ist, begegnet sie einem jungen mexikanischen Expat in einem Waschsalon. Während sich draußen eine Feuerwalze nähert, schließen sie sich hinter heruntergelassenen Jalousien in seiner Wohnung ein. Ein atemloses Vergessen für zwei Tage, doch dann reißen Sirenen sie aus ihrem Schlummer…

In New York sind die Enkel im Apartment eines Verwandten untergekommen. Bruder und Schwester unterhalten sich, über ihren Großvater, über Mexiko, Sex, doch da ist dieses Kratzen in der Wand, verstörend und Furcht einflößend…

Noch in Mexiko-Stadt wartet Don Victorianos Geliebte mit ihrem gemeinsamen Sohn auf ihn, meint, verlassen worden zu sein, diesmal endgültig, bis sie von den Paketen erfährt, deren Inhalt keinen Zweifel an seinem Verbleib lassen…

Ob in Austin, New York oder Madrid, ob Tochter, Sohn, Enkel, Geliebte oder Bedienstete, Ruiz-Camacho seziert die Seelen der Entwurzelten, beschreibt ihre Ängste, ihre Sehnsüchte, ihren inneren Kampf, mit diesem doppelten Verlust, dem eines geliebten Menschen und dem der Heimat, umzugehen.

Dies ist eine kurze, aber äußerst gut geschriebene, segmentierte Geschichte einer weit verstreuten Familie, die mit ihrer Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert ist, die sich auf eine dunkle, beunruhigende und doch sehr herzerwärmende Weise miteinander verbinden. Durch die einzelnen Geschichten werden verschiedene Perspektiven aufgezeigt, die beeindruckend und überzeugend sind. Wir sehen Entscheidungen, die jeder von seinem Standpunkt aus getroffen hat, und der Leser kann daraus seine eigenen Schlüsse ziehen. Denn sie sterben jung ist ein intelligentes Buch, authentisch und kunstvoll zugleich, immer ganz nah an seinen Figuren, hart und ungeschliffen, poetisch und mitfühlend.  

Antonio Ruiz-Camacho wurde 1973 in Toluca, Mexiko geboren. Dort arbeitete er als Journalist, bevor er nach Austin, Texas zog, wo er mit seiner Familie heute lebt. Er hat zahlreiche Stipendien erhalten, in verschiedenen Zeitschriften, darunter in der New York Times, veröffentlicht und stand mit seinem Debüt «Denn sie sterben jung» auf diversen Jahresbestenlisten, u. a. von Kirkus Reviews, San Francisco Chronicle und Texas Observer.

Denn sie sterben jung von Antonio Ruiz-Camacho ist bei C.H. Beck erschienen.
(JK 10/18)

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