Buchhandlung
Klauder
Donnerstag, 19.09.2019
20.00 Uhr
Duvenstedter
Damm 41, Hamburg
Eintritt: 10 Euro
Die Hamburger Schriftstellerin, Dramatikerin und
Schauspielerin Karen Köhler stellt ihren neuen Roman Miroloi vor, der im
Hanser Verlag erschienen ist.
Miroloi, das
ist die Bezeichnung für ein in der Tradition der griechisch-orthodoxen Kirche
gedichtetes und gesungenes Totenlied über das Schicksal eines Verstorbenen. In
128 Strophen erzählt die Hamburger Schriftstellerin,
Dramatikerin und Schauspielerin Karen Köhler in ihrem neuen Roman so ein Miroloi
und katapultiert uns mit ihm mitten hinein in das patriarchale
Herrschaftssystem einer auf den ersten Blick sehr fernen, sehr fremden und
archaischen Welt gleich nebenan.
Man nennt sie „Dievondrüben“,
„Erntevernichterin“ oder gleich „Eselstochter“, und wann immer das Dorf von
einem Unglück heimgesucht wird, ist sie es, der man die Schuld daran gibt.
Aufgewachsen ist sie beim „Bethaus-Vater“, der sie in einem Bananenkarton
gefunden und gegen alle Widerstände des Dorfes bei sich behalten, ihr aber
keinen Namen gegeben hat, weil das die Gesetze verbieten. „Meinmächen“ nennt er
auch noch die Sechzehnjährige, die einen richtigen Namen haben, Lesen und
Schreiben lernen möchte, obwohl es die heiligen Gesetze verbieten. Nach und
nach entsteht durch die kurzen Strophen, in denen dieses Mädchen in Miroloi
vom Leben in dem Dorf auf einer entlegenen griechischen Insel erzählt, das Bild
einer abgeschirmten, patriarchalen Gemeinschaft, die völlig aus der Zeit
gefallen zu sein scheint. Es gibt einen Müller, einen Tischler, einen Töpfer
und einen Weber, es gibt einen einäugigen Imker, Hirten, einen Einsiedler und
die Betmänner, die mit ihren Schülern in einer Einsiedelei in der Nähe leben.
Ab und zu kommt ein Schiff mit einem Händler vorbei, der im Tausch gegen
Olivenöl und Schnaps anbietet, was das Dorf selbst nicht erzeugt: Kaffee,
Zucker, Bananen, aber auch Brillen und künstliche Gebisse für die Alten,
Schuhe, Tinte, Papier und Töpfe. Vieles ist es nicht, das der Ältestenrat, der
die Gesetze macht, passieren lässt, die Stromversorgung, die ein Beamter eines
Tages ankündigt, wird einstimmig abgelehnt, obwohl die Frauen durchaus
aufmerken als sie von Geräten hören, die Wäsche waschen und einem Ofen, der mit
Strom funktioniert. Hätten sie da nicht viel mehr Zeit, um im Schatten zu
sitzen, Schnaps zu trinken und die Betperlen zu zählen, so wie es die Männer
tun? Am Ende werden sie in die Schranken gewiesen: „Euer Platz ist da, wo er
ist: im Haus, im Garten und auf dem Feld. So war es immer und so wird es
bleiben“. Die Religion dient mit ihren Regeln und Vorschriften vor allem der
Unterdrückung der Frauen, denen weder Bildung noch Mitbestimmungsrechte
zugestanden werden. Gewalt und sexueller Missbrauch der Frauen sind alltäglich
und werden stillschweigend geduldet. Als der „Bethaus-Vater“ sich dann doch
dazu überreden lässt, sie zu unterrichten, ist es für sein Mädchen nur der
erste Akt der Befreiung aus einer Welt, in der so eine „nicht vorgesehen“ ist.
Es sei ihr mit ihrem
Roman wichtig gewesen, auf diese Welt und ihre Missstände zu reagieren, hat
Karen Köhler in einem Podcast zum Erscheinen gesagt, und das ist ihr mit Miroloi
ganz wunderbar gelungen. Der Roman spielt zwar auf einer fernen Insel und in einer
für uns fernen Zeit, doch die Strukturen, denen ihre Heldin ausgesetzt ist,
sind für viele Frauen noch immer alltäglich. Bis heute sind die großen
politischen Fragen verknüpft mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, es geht
um Bildung, Gesundheit und um den Schutz vor sexuellen Übergriffen. Um all das
geht es auch in Miroloi. Karen Köhlers Roman ist zum „Erkennen da“,
öffnet aber auch ein poetisches Fenster zu einer Welt gleich nebenan, er ist
Emanzipationsgeschichte und gleichzeitig verspieltes Sprachtheater, das von der
Lust am Erzählen lebt. Ein großartiger Roman.
Karen Köhler hat Schauspiel studiert
und zwölf Jahre am Theater in ihrem Beruf gearbeitet. Heute lebt sie auf St.
Pauli, schreibt Theaterstücke, Drehbücher und Prosa. Ihre Theaterstücke stehen
bei zahlreichen Bühnen auf dem Spielplan. 2014 erschien ihr viel beachteter
Erzählungsband Wir haben Raketen geangelt. 2017 erhielt sie für ihren
Roman Miroloi ein Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung, 2018
das Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds.
Miroloi von Karen Köhler ist bei Hanser erschienen.
(JK 09/19)
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