Algerien verliert seine berühmteste
Stimme: Assia Djebar ist am 6. Februar 2015 78-jährig in Paris gestorben. Die
1936 geborene Assia Djebar, mit eigentlichem Namen Fatima-Zohra Imalayène, war
eine Pionierin, die den Frauen ihres Landes eine Stimme verlieh, die für
Demokratie und Bildung eintrat. Ihr Schaffen wurde mit dem Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels und der Aufnahme in die Académie française gewürdigt.
In den letzten, von Krankheit
überschatteten Jahren war es stiller geworden um Assia Djebar. Aber ihr
Lebenslauf wie auch ihr Werk, dessen Inspirationsquellen ebenso in der
arabo-islamischen wie in der westlichen Kultur lagen, werden auch über ihren
Tod hinaus für die außergewöhnliche Statur dieser Autorin zeugen, die zur einer
der bekanntesten literarischen Stimmen des Maghreb wurde.
1936 im von Frankreich kolonisierten
Algerien geboren, gehörte Assia Djebar einer Generation an, in der es auch in
dem gehobenen städtischen Milieu, aus dem sie stammte, noch keineswegs üblich
war, ein Mädchen zur Schule zu schicken, zumal diese während der Kolonialzeit
zwangsläufig eine französische war. Sie verdankte dieses Privileg der
Aufgeschlossenheit ihres Vaters, der der Tochter den Zugang zum französischen
Bildungssystem ermöglichte, das sie mit großem Erfolg durchlief. Als erste
Algerierin bestand sie die Aufnahmeprüfung für die angesehene École Normale
Supérieure in Sèvres und arbeitete später als Historikerin an verschiedenen
Universitäten in Algerien und Marokko. Sie unterbrach ihre akademische Karriere,
um sich zunächst als Journalistin in Tunis und dann in der Flüchtlingshilfe an
der algerisch-tunesischen Grenze für den Befreiungskampf ihres Volkes zu
engagieren.
Neben dem Maghreb wurden Paris und
später auch die Vereinigten Staaten zu Fixpunkten in Djebars literarischer und
akademischer Karriere. 1997 übernahm sie eine Professur im Zentrum für
französische und frankofone Studien an der Louisiana State University, 2001 –
ein Jahr, nachdem sie nach zahlreichen internationalen Auszeichnungen auch den
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hatte – wurde sie auf den
renommierten Lehrstuhl für frankophone Literatur an der New York State
University berufen. Einen Höhepunkt erreichte ihre intellektuelle und
künstlerische Anerkennung im Jahr 2005 durch die Aufnahme in den Kreis der
«Unsterblichen», in die Académie française – eine Ehrung von hohem symbolischem
Rang, die gleichsam das Vordringen der Peripherie in das Zentrum der
kulturellen Macht bekräftigte.
Ihr Debüt als Schriftstellerin war
der Roman La Soif (Die Zweifelnden 1957; Neuausgabe unter
dem Titel Durst, 2001), den sie
innerhalb von zwei Monaten während der Studentenunruhen 1956 geschrieben hatte.
Aus Angst, dass dieser Roman ihrem Vater missfallen könnte, nahm sie ein
Pseudonym an, das sie seither beibehalten hat. Nadja, die Protagonistin des
Romans, ist halb Französin, halb Algerierin, führt ein sorgloses Leben und
versucht, den Ehemann einer Freundin zu verführen, um den eigenen Freund
eifersüchtig zu machen. Dieses Buch, unter der unbeschwerten Oberfläche eine
tiefgründige psychologische Studie, wurde mit Françoise Sagans Bonjour Tristesse verglichen, in
Algerien hingegen wurde es verurteilt, weil es die aktuellen politischen
Ereignisse nicht widerspiegelte.
Die frühen Romane weisen eine
kontinuierliche Erzählstruktur auf. Die Gefühle und Wünsche eines Teils von
(vorwiegend intellektuellen) arabischen Frauen, die sich nicht selbst äußern
konnten, werden thematisiert. Von Kritikern sah sich Assia Djebar mit dem
Vorwurf konfrontiert, sie stelle die Geschlechterfrage in den Mittelpunkt ihrer
Romane, anstatt sich vornehmlich mit dem Freiheitskampf des algerischen Volkes
zu beschäftigen. Außerdem schreibe sie in der Sprache des Feindes. Djebar
setzte sich daraufhin intensiv mit der Sprache ihrer Literatur auseinander, die
sie einerseits als Medium der Kolonialisten ansah, andererseits aber als
Instrument zum Transport freiheitlicher, emanzipatorischer Ideen einer
arabischen intellektuellen Frau.
Sie legte eine literarische
Schaffenspause ein. Anfang der 70er Jahre studierte sie klassisches Arabisch.
Ihre Dokumentarfilme in arabischer Sprache bezogen sich auf die
Lebenswirklichkeit in Algerien. Hier lag ihr Schwerpunkt bei der Darstellung
der Äußerungen vergessener algerischer Frauen, zum Teil mit berberischem
Hintergrund.
Ab den 1980er Jahren publizierte
Djebar erneut in französischer Sprache, benutzte jedoch häufig arabische oder
berberische Wendungen. Auch ihr Rhythmus erinnert an das Arabische und
Berberische. Sie war sich des Problems bewusst, Gedanken und Gefühle beispielsweise
von berberischen Frauen, die in einem Kontext ohne Schriftsprache stehen, über
das Arabische ins Französische zu transportieren und dabei Unschärfen hinnehmen
zu müssen.
Djebar, die mit ihren neuen Romanen
weltweit bekannt wurde, wendete nun verfeinerte, partiell postmoderne
Stilmittel an. Die stringente Erzählweise wich einem gebrochenen fluiden,
bilderreichen Sprachduktus. Stimmen unterschiedlicher Protagonistinnen werden
mit historischen Diskursen der Kolonialgeschichte und des Befreiungskampfes verknüpft.
Auf diese Weise sollte die erzwungene bleierne Stummheit der algerischen Frauen
aufgehoben und das Schweigen über die Verbrechen des Kolonialsystems gebrochen
werden. Die zahlreichen kulturellen und historischen Anspielungen, Quellen und
Eigennamen, teilweise im Original in arabischer oder berberischer Sprache, sind
für westliche Rezipienten nicht ohne weiteres verständlich, sodass ihren
Büchern häufig ein Glossar angefügt ist. Hinzu kommt die besondere Problematik,
ihre Werke durch Übersetzung in einer weiteren, der vierten, Sprache zugänglich
zu machen.
Assia Djebar ist als Autorin und
intellektuelle Frau im nicht definierten Raum zwischen arabischer und
westlicher Kultur umstritten. Auf der einen Seite war sie eine renommierte,
vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin, die Leser im westlichen Kulturkreis
und auch eine Minderheit in den arabischen Ländern, für die ihre Bücher
erreichbar sind, mit ihren Werken berührt. Andererseits wurde kritisiert, sie
ordne sich westlichen Wert- und Kulturstandards unter, lehne bewährte
Traditionen ab und diskreditiere damit ihre Herkunft.
Die Verleihung des
Friedenspreises des deutschen Buchhandels wurde unter anderem mit den Worten
begründet: „Sie hat in ihrem Werk ein Zeichen der Hoffnung gesetzt für die
demokratische Erneuerung Algeriens, für den inneren Frieden in ihrer Heimat und
für die Verständigung zwischen den Kulturen. Den vielfältigen Wurzeln ihrer
Kultur verpflichtet, hat Assia Djebar einen wichtigen Beitrag zu einem neuen
Selbstbewusstsein der Frauen in der arabischen Welt geleistet.“ Assia Djebar
widmete ihre Dankesrede unter dem Titel Sprache des Exils – Sprache der
Unbeugsamkeit drei in Algerien ermordeten Schriftstellern.
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