Ein Bergdorf, ein
Filmteam, ein Ziel: überleben. Darum geht es in dem Roman Kastelau des
Schweizer Autors Charles Lewinsky, der bei dtv als Taschenbuch erschienen ist.
Während 1944 in Berlin
der Krieg wütet, geht es in den bayerischen Alpen noch friedlich zu. Unter
einem Vorwand beschafft sich der Filmstar Walter Arnold den Auftrag für einen
vorgeblichen Propagandafilm und setzt sich mit einem UFA-Team dorthin ab. Im
eingeschneiten Dorf Kastelau wird das Drehen einer erfundenen Geschichte
allerdings immer mehr zur erfundenen Geschichte eines Drehs. Es entspinnt sich
ein Netz aus Lügen und Intrigen, und bald kann niemand mehr Sein und Schein
unterscheiden.
Manche Geschichten haben
einen so absurden Plot, dass sie entweder nur als Klamotte oder als Drama
durchgehen können. Dieser Roman erzählt nicht nur eine verrückte Story, sondern
er ist auch in seiner äußeren Struktur derart komplex-fantastisch, dass sich
sowohl inhaltlich als auch formal Wirklichkeit und Fiktion so weit ineinander
schieben, dass sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Das macht seine fesselnde
Faszination aus. Der Plot ist eingefasst in eine Rahmenhandlung, in der ein
verkrachter Filmwissenschaftler mit deutschen Wurzeln in Los Angeles eine
Dissertation über diese bislang unbekannte Episode der Filmgeschichte schreiben
will. Der Autor Charles Lewinsky breitet ein Konvolut von Dokumenten aus:
Befragungen von Zeitzeugen, Briefe, Tagebucheinträge, Wikipedia-Einträge,
Notizen des Erzählers, Listen und Tabellen. Aber es ist alles nur Fiktion.
Nichts an diesem dokumentarisch daherkommenden Roman ist real. Es gibt weder den
deutschen Filmschauspieler Walter Arnold, der in Hollywood als Arnie Walton
Karriere gemacht hat, noch gibt es den Doktoranden Samuel Saunders, noch die
zitierten Wikipedia-Einträge und schon gar nicht das Dorf Kastelau, das heute
angeblich ein abseits gelegener Ortsteil von Berchtesgaden sein soll. Der Roman
ist von der ersten bis zur letzten Seite frei erfunden und ein origineller
Lesespaß.
Charles Lewinsky, 1946 in
Zürich geboren, arbeitete als Dramaturg, Regisseur und Redakteur, seit 1980 als
freier Autor. Er schreibt Hörspiele, Romane und Theaterstücke; außerdem
verfasst er Drehbücher, etwa für den Film ›Ein ganz gewöhnlicher Jude‹. Seine
Romane wurden vielfach ausgezeichnet: Für Johannistag erhielt er den
Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank. Melnitz wurde in zehn Sprachen
übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. in China als Bester deutscher Roman
2006, in Frankreich als Bester ausländischer Roman 2008. Gerron wurde
2011 für den Schweizer Buchpreis nominiert, der jüngste Roman Kastelau
war für den Deutschen Buchpreis 2014 nominiert. Charles Lewinsky lebt in Zürich
und Frankreich.
Kastelau von Charles Lewinsky ist bei dtv erschienen.
(JK 04/16)
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