DEuCZe
e.V. – Verein für Deutsch-Tschechische Verständigung im Kölibri
Freitag, 07.10.2016 19.00 Uhr
Hein-Köllisch-Platz 11, Hamburg
Eintritt: frei
Der in Prag und Berlin lebende
Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker Jaroslav Rudiš liest aus seinem
brillanten Monolog Nationalstrasse,
der bei Luchterhand erschienen ist, über den Wendeverlierer Vandam.
Vandam
war einer von denen, die es losgetreten haben am 17. November 1989, als unten
in der Prager Altstadt auf der Nationalstraße die samtene Revolution ins Rollen
kam, die einige Wochen später das kommunistische Regime hinwegfegte. Damals war
Vandam ein junger Polizist, ein Vorstadt-Held oben in der Plattenbausiedlung
des neuen Prag, die dem Wald abgetrotzt mitten in rauer Natur liegt. Dort oben
haben sie als kleine Jungs heimlich Krieg gespielt, dort hat Vandam nach seinem
Vater gesucht, wenn der wieder einmal angedroht hatte, er würde sich erhängen,
bis er am Ende doch übers Balkongeländer sprang.
Fünfundzwanzig
Jahre später wohnt Vandam immer noch in der Plattenbausiedlung seiner Kindheit.
Längst ist er kein Held mehr, sondern ein Verlierer: Wegen Gewaltexzessen aus
dem Polizeidienst entfernt, prügelt er sich als einsamer Schläger durch Tage
und Nächte und hebt im Fußballstadion regelmäßig die rechte Hand zum
Hitlergruß. „Ich bin ein Römer. Kein Nazi. Warum sollte man in Europa nicht mit
dem römischen Gruß grüßen dürfen? Ich bin ein Europäer. Ihr etwa nicht? Heil
dem Volk! Heil Europa! Neger raus. Zigos raus. Sozialschmarotzer raus.
Schwuchteln raus. Böhmen den Tschechen.“
Gekonnt
schlüpft Jaroslav Rudiš in diesem brillanten Monolog in den Kopf und den Körper
eines Schlägers: „Da wird mir das alles zu viel, meine Hand zuckt schon wieder,
mein Herz pocht, ich spüre, wie sich alles in mir staut, wie es raus will, wie
mein ganzer Körper kribbelt. Ich atme tief ein und aus, zum Schluss habe ich
mich wieder.“ Rudiš Buch gleicht einem Schlag in die Magengrube – und basiert
auf einer realen Figur.
Jaroslav
Rudiš, geboren 1972, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker. Er
studierte Deutsch und Geschichte in Prag, Zürich und Berlin und arbeitete u.a.
als Lehrer, Journalist und Vertreter einer tschechischen Brauerei in
Deutschland. Zuerst schrieb er Erzählungen, Gedichte und Songtexte. Grand Hotel, nach Der Himmel unter Berlin sein zweiter auf Deutsch erschienener
Roman, wurde 2006 verfilmt. Mit seinem tschechischen Verleger hat er darüber
hinaus die Band „The Bombers“ gegründet. Sein dritter Roman Potichu (Die Stille in Prag) wurde in Tschechien von der Kritik begeistert
aufgenommen. Bei Voland & Quist erschien 2012 auf Deutsch die Graphic Novel
Alois Nebel. 2012/13 hatte Jaroslav
Rudiš die Siegfried-Unseld-Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin
inne. Im Dezember 2013 lief die Verfilmung von Alois Nebel, illlustriert von Jaromír 99, in den deutschen Kinos
an. Zusammen mit Jaromir 99 gründete er die Kafka Band, die mit einer Mischung
aus Musik, Literatur und Videokunst durch Mitteleuropa tourt. 2014 erhielt
Jaroslav Rudiš für sein Werk den Usedomer Literaturpreis.
Nationalstraße
von Jaroslav
Rudiš ist bei Luchterhand erschienen.
(JK 10/16)
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