Julian Barnes: Der Lärm der Zeit (Kiepenheuer & Witsch)

Julian Barnes hat in seinem neuen Roman Der Lärm der Zeit, der bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, den russischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch als Protagonisten gewählt.

Im Mai 1937 wartet ein Mann jede Nacht neben dem Fahrstuhl seiner Leningrader Wohnung darauf, dass Stalins Schergen kommen und ihn abholen. Der Mann ist der Komponist Schostakowitsch, und er wartet am Lift, um seiner Familie den Anblick seiner Verhaftung zu ersparen. Die Gunst der Mächtigen zu erlangen, hat zwei Seiten: Stalin, der sich plötzlich für seine Musik zu interessieren scheint, verlässt noch in der Pause die Aufführung seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk. Fortan ist Schostakowitsch ein zum Abschuss freigegebener Mann. Durch Glück entgeht er der Säuberung, doch was bedeutet es für einen Künstler, keine Entscheidung frei treffen zu können? In welchem Verhältnis stehen Kunst und Unterdrückung, Diktatur und Kreativität zueinander, und ist es verwerflich, wenn man sich der Macht beugt, um künstlerisch arbeiten zu können?

Julian Barnes beschreibt meisterhaft die Ära, in der Schostakowitsch lebte, und welche Auswirkungen das repressive Klima auf seine Kunst ausübte. Barnes schafft diese zerrissene Situation des Künstlers mit Poesie zu versehen. Er benutzt wechselnde Perspektiven, um über Musik und Macht zu reflektieren. Es hat Elemente einer Biographie, eines Historienromans, Psychokrimis und Essays. Man erfährt viel über die Person Schostakowitsch und die Zeit, in der er lebte. Dennoch muss festgehalten werden, dass Barnes Roman eine Fiktion darstellt. Es geht ihm um künstlerisches Schaffen unter dem Einfluss einer Diktatur, die die Kunst für ihre Zwecke benutzen will und einsetzt und in der eine Abweichung von der offiziellen Linie tödlich enden kann. In diesem Sinne ist Barnes ein intelligenter Roman gelungen.

Julian Barnes, geboren 1946 in Leicester, England, ist einer der wichtigsten zeitgenössischen britischen Autoren. Er wuchs in London und Northwood auf. Bis 1968 studierte er am Magdalen College in Oxford Moderne Sprachen und schloss das Studium mit Auszeichnung ab. Drei Jahre lang arbeitete er als Lexikograph für das Oxford English Dictionary supplement, trat dann eine Stelle als Redakteur bei der New Review und dem New Statesman an, bevor er von 1979 bis 1986 erst als Fernsehkritiker für den New Statesman und den Observer tätig war. 1979 heiratete Barnes seine Agentin Patricia Olive Kavanagh, die 2008 den Folgen eines Gehirntumors erlag. Julian Barnes setzt sich mit dem plötzlichen Tod seiner Frau in seinem Buch Lebensstufen auseinander. Er widmet ihr den Großteil seiner Werke. Schon 1980 veröffentlichte Julian Barnes mit Metroland seinen ersten Roman. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, ein wiederkehrendes Strukturelement in Barnes` Werken. Mit Flauberts Papagei, seinem dritten Roman, gelang Barnes 1984 der internationale Durchbruch, mit diesem Titel stand er zum ersten Mal auf der Shortlist des Man Booker Prize, den er 2011 für Vom Ende einer Geschichte erhielt. Neben seinen Romanen verfasste Barnes zahlreiche Essays und Kurzgeschichten, unter dem Pseudonym Dan Kavanagh veröffentlichte er eine Reihe von Kriminalromanen. Für seine Bücher wurde er mit zahlreichen europäischen und amerikanischen Literaturpreisen ausgezeichnet. Julian Barnes lebt und arbeitet in London. 

Der Lärm der Zeit von Julian Barnes ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. 
(JK 04/17)

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