José Eduardo Agualusa: Eine allgemeine Theorie des Vergessens (C.H. Beck)

Es ist eine fantastische und doch ganz und gar wahre Geschichte: Am Vorabend der angolanischen Revolution mauert sich Ludovica, nachdem sie einen Einbrecher in Notwehr erschossen und auf der Dachterrasse begraben hat, für dreißig Jahre in ihrer Wohnung in einem Hochhaus in Luanda ein. Sie lebt von Gemüse, gefangenen Tauben und von einer Hühnerzucht, die sie auf der Dachterrasse wie durch Zauber beginnt, und bekritzelt die Wände in ihrer ausgedehnten Wohnung mit Tagebuchnotaten und Gedichten. Allmählich setzt sich aus Stimmen, Radioschnipseln und flüchtigen Eindrücken zusammen, was im Land geschieht. In den Jahrzehnten, die Ludovica verborgen verbringt, kreuzen sich die Wege von Opfern und Tätern, den Beteiligten an der Revolution, ihren Profiteuren und Feinden. Bis sie alle eines Tages erneut vor der Mauer in dem wieder glanzvollen Apartmenthaus stehen.

José Eduardo Agualusa hat mit seinem wunderbaren, dicht und spannend gewobenen Roman, der das Fantastische der Wirklichkeit und eine Art höhere Gerechtigkeit beschwört, unvergessliche Szenen geschaffen, tragisch, komisch, grotesk. Dieser Roman feiert die Kunst des Erzählens selbst. Das Buch ist sprachlich anspruchsvoll und mit den Tagebucheintragungen und Haikus stilistisch ungewöhnlich. Doch Agualusas Sprache ist ohne Schnörkel und der Text fließt. Èber die Geschichte um Ludovica hinaus gibt der Autor spannende Einblicke in die Geschichte Angolas und thematisiert Kolonialismus, Unabhängigkeit, Bürgerkrieg und die über Jahrzehnte vorherrschende Gewalt im Land. Eine allgemeine Theorie des Vergessens erzählt eine ebenso ungewöhnliche wie faszinierende Geschichte, die es ermöglicht, ein eher unbekanntes Land besser kennenzulernen und zu verstehen.

José Eduardo Agualusa, 1960 in Huambo in Angola geboren, studierte Agrarwissenschaft und Forstwirtschaft in Lissabon. Seine Gedichte, Erzählungen und Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, für seinen Roman Ein Stein unter Wasser (1999) erhielt er den Grande Prémio de Literatura da RTP. Auf Deutsch erschienen die Romane Die Frauen meines Vaters, Barroco Tropical und Das Lachen des Geckos, für den er 2007 den britischen Independent Foreign Fiction Prize erhielt. Eine allgemeine Theorie des Vergessens stand auf der Shortlist des Man Booker International Prize 2016 und erhielt 2017 den hochdotierten International Dublin Literary Award. Agualusa lebt als Schriftsteller und Journalist in Portugal, Angola und Brasilien.

Eine allgemeine Theorie des Vergessens  von José Eduardo Agualusa ist bei C.H. Beck erschienen. 
(JK 11/17)

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