Das neue Jahr beginnt im Literaturhaus schon
traditionell mit einem Festakt: Sasha Marianna Salzmann wird mit dem Mara
Cassens-Preis ausgezeichnet.
Der mit 15.000 Euro
dotierte Preis wird von einer ehrenamtlichen Leserjury vergeben, die sich aus
15 Mitgliedern des Literaturhauses e.V. zusammenfindet. 77 Debüts hatten sich
um den Preis beworben. Ein Grußwort spricht Dr. Carsten Brosda, Senator für
Kultur und Medien.
Es ist eines der
gefeierten Debüts dieses Jahres, gelobt für seine Wucht und Direktheit,
ausgezeichnet mit dem Ponto-Preis und auf der Shortlist zum Deutschen
Buchpreis. Sasha Marianna Salzmann, 1985 in Wolgograd geboren, 1995 mit ihrer
Familie nach Deutschland gekommen, ist als Theaterautorin schon seit Jahren
eine Größe. In ihrem Prosadebüt Außer sich erzählt sie nun von der Suche
nach einer Identität jenseits vordergründiger Zuschreibungen und die Geschichte
einer Familie. Sasha Marianna Salzmann liest im Thalia Theater aus ihrem für
den Deutschen Buchpreis nominierten Romandebüt.
Als Alissa zusammen mit
ihrem Zwillingsbruder Anton im Zug von Moskau nach Berlin sitzt, hat sie
klebrige Hände von dem fettigen Hähnchen, das sie gegessen haben. Stunden später
kotzt sie ihrem Onkel, der gekommen ist, um die Familie abzuholen, zur
Begrüßung auf die Schuhe. „Entschuldigung“ soll sie daraufhin sagen, auf
Deutsch. Das fettige Hähnchen und der Brechreiz begleiten sie später auch bei
der Einreise in die Türkei. In Berlin hat sie ihr Mathematikstudium
geschmissen, weil es sie vom Boxtraining abhält, in Istanbul begibt sie sich
auf die Suche nach dem verschwundenen Bruder. Es ist eine Reise in ihre
Familiengeschichte, die im Erzählfluss in russischen, jiddischen und türkischen
Einsprengseln auch sprachlich geborgen wird. Doch vor allem ist es eine Reise,
bei der sich die Grenzen auflösen. Mutterland, Vaterland, Familie und
Geschlecht, all das ist aus der eigenen Geschichte gefallen und muss sich in
dieser Stadt außerhalb der Zeit neu finden, wenn sich Alissa nicht verlieren
will. Sie beginnt eine Affäre mit der Tänzerin Katüscha, und als die ihr
erklärt, keine „Sie“ sondern ein „Er“ zu sein, purzeln im Text nicht nur die
Personalpronomen durcheinander. Für Alissa wird diese Begegnung zum
Ausgangspunkt radikaler Veränderungen. Dennoch bleibt die Suche nach Anton und
dem eigenen Ich brüchig. Alissa reiht ihre „Vielleichts aneinander, Kügelchen
für Kügelchen“, bis ihr Möglichkeitsraum am 15. Juli 2016 mit dem Putschversuch
in Istanbul geschlossen wird.
Außer sich von Sasha Marianna Salzmann ist bei Suhrkamp erschienen.
(JK 12/17)
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