Literaturhaus
Dienstag, 12.06.2018 19.30 Uhr
Schwanenwik 38, Hamburg
Eintritt: 8 / 12 Euro
Das
ganze Blau des Himmels: Milena Michiko Flašar liest aus ihrem Roman Herr
Katō spielt Familie, der bei Wagenbach erschienen ist.
In
ihrem eher leisen und von einer zarten Melancholie getragenen neuen Roman führt
Milena Michiko Flašar mit ihrem Protagonisten Herrn Kato mitten ins Herz der
Finsternisse einer Lebenskrise. Es geht um die Flüchtigkeit des Glücks und die
alles entscheidende Frage, was dagegen hilft. Ein Wundermittel gibt es auch in Herr
Katō spielt Familie nicht, aber der Roman propagiert als heilsame Methode,
es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Das ist der Literatur immanent
und im Leben manchmal vielleicht der einzige Weg, sich neu zu erfinden. Oder
doch wenigstens, sich glaubhaft etwas vorzumachen. „Wir lügen nicht, um die
Wahrheit zu verfälschen“, ist eine wichtige Erkenntnis von Herrn Kato, „sondern
um sie zu berichtigen.“
Schon
der höchst erfolgreiche Roman Ich nannte ihn Krawatte (2012) von Milena
Michiko Flašar, die 1980 in St. Pölten als Tochter einer japanischen Mutter und
eines österreichischen Vaters geboren wurde, spielt in Japan, wo die
Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld eine besonders große Bedeutung hat. In Herr
Katō spielt Familie begegnen wir einem Rentner, der gerade erst aus seinem
sozialen Lebensgefüge gefallen ist und in einem viel zu großen Haus alleine mit
seiner Frau in einem namenlosen Vorort lebt. Mehrere Jahrzehnte hat er seine
Zeit von früh bis spät in der Firma und mit seinen Kollegen verbracht, die
Kinder sind ohne ihn groß und seine Frau ist ihm darüber fremd geworden. Er hat
ihr einmal ein Leben versprochen, „das wie Tanzen wäre“. Jetzt geht sie ins
Fitnessstudio und macht „Ballett für Ältere“, weil es mit ihm zu Hause nicht
auszuhalten ist. Er fragt sich, ob es das schon gewesen ist und zieht bei
ausgedehnten Spaziergängen eine Lebensbilanz, die in summa vor allem
Versäumnisse und unerfüllte Träume auflistet. In Paris ist er nicht gewesen und
nicht in den Süden gezogen, noch nicht einmal einen Spitz hat er sich als
Familienhund zugelegt. So richtig in Fahrt kommt der Roman als Herr Katō eines
Tages eine junge Frau kennenlernt: Mie behauptet von sich, „die Grundlage von Glück
zu verkaufen“ und heuert ihn für ihre Agentur „Happy Family“ an, die den
Menschen dabei hilft, sich zugehörig zu fühlen. Und Herr Katō kann das ganz
wunderbar, er schweigt, wenn er mit einer Frau unterwegs ist, die ihr Mann nie
zu Wort kommen lässt, er ist für einen Nachmittag ein netter Großvater und
schließlich als Chef bei der Hochzeit einer jungen Frau zu Gast. Er lügt das
Blaue vom Himmel herunter: „Was ist schon wahr, fragt er sich, und was nicht?
Kein Zaun trennt das eine vom anderen. Und wenn doch, dann gibt es
Schlupflöcher.“ Durch eines dieser Schlupflöcher entkommt Herr Kato am Ende.
Nach Paris schafft er es zwar nicht, aber er hat immerhin gelernt, dass es
vielleicht völlig ausreicht, wenn man sich einbildet, das Lächeln der Mona Lisa
gesehen zu haben.
Herr Katō spielt Familie von Milena Michiko Flašar ist bei Wagenbach
erschienen.
(JK 06/18)
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