Stadtbücherei
Ahrensburg
Mittwoch, 27.02.2019 19.30
Uhr
Manfred-Samusch-Str. 3, Ahrensburg
Eintritt: 12 Euro
Buchpremiere mit Dörte Hansen: Sie stellt ihren
neuen Roman Mittagsstunde vor, der bei Penguin erschienen ist.
Wer ihn nur einmal
gesehen hat, der weiß, wie leicht es ist, unter diesem Himmel verloren zu gehen
und in diesem Horizont. Der Norden ist weit. Und in der Schleswigschen Geest
ist er auch leer. Nacktes, abgewetztes Land, Altmoränenland, das ewig unter Eis
begraben war. Davon umgeben sind Brinkebüll und der Gasthof der Feddersens mit
seinem Ballsaal. Lange war er das Herzzentrum des Dorfes, jetzt ist er das Symbol
eines jahrzehntelangen Niedergangs. Von ihm und dem Aufbruch, der darauf folgt,
erzählt Dörte Hansen in ihrem Dorf- und Heimatroman Mittagsstunde, einer
liebevollen Hommage an Nordfriesland und seine Menschen, für die sie insgeheim
einen ganz großen Bogen von der Jungsteinzeit bis in die Gegenwart schlägt.
Sönke Feddersen, „de
Kröger“, steht mit seinen 93 Jahren immer noch hinterm Tresen, auf einem Auge
blind, sieht er nur noch das, was er sehen will, so wie seine Tochter „Marret
Ünnergang“ es Zeit ihres Lebens gehalten hat. Sie schnackt mit den Vögeln,
sammelt Steine, Federn, sogar tote Tiere, inventarisiert ihre Funde akribisch
und findet überall Zeichen des nahen Weltuntergangs. Sonst ist nicht viel mit
ihr anzufangen, nur singen, das kann sie auch. In ihrer Jugend ist Marret der „Stern
von Brinkebüll“, wenn „Die Barracudas“ sie auf die Bühne im Ballsaal des
Gasthofs bitten und sie „Schöner fremder Mann“ und „Mit siebzehn hat man noch
Träume“ singt. Ihre Mutter wundert sich bald über gar nichts mehr und fällt
dann doch aus allen Wolken, als das Mädchen plötzlich schwanger ist und einen
Sohn zur Welt bringt. „Schuld“ war natürlich „nicht der Bossa Nova“, sondern
einer der Vermessungsingenieure, die dem Land eine viel zu gründliche
Flurbereinigung verordnen.
Dörte Hansen erzählt in
ihrem Roman in kurzen Episoden, die alle mit Liedzeilen überschrieben sind, vom
Leben in Brinkebüll von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Gegenwart.
Im Zentrum stehen dabei die Einwohner, ob Dörte Dethlefsen mit ihren dürren,
kurzen Beinen, Hauke Godbersen, der Mappenmann, Dora Koopmann, die in ihrem
Edeka hin und wieder mit Konservendosen schmeißt, Bäcker Boysen, Thies Hamke,
Hanni „Bimmel“ Thomsen, Carsten Leidig, Pastor Ahlers, natürlich auch Lehrer
Steensen und wie sie sonst noch so heißen. Allesamt sind sie typische
nordfriesische Hinterwäldler der Nachkriegszeit, manche von beißendem
Provinzmief umweht, beschädigt und verschroben, die meisten freundlich und seit
Generationen miteinander verwandt. Dörte Hansen erzählt zugewandt und mit viel
Humor von ihren Brinkebüllern, verschweigt aber auch die Abgründe nicht, die
hinter der Fassade ihrer Heimat lauern.
Mit Ingwer Feddersen,
Prähistoriker an der Uni Kiel, dem vaterlosen Sohn von Marret, kommen wir in
dem Roman in der Gegenwart an. Er ist nach Brinkebüll zurückgekehrt, um sich
für einige Zeit um die Großeltern zu kümmern, zu regeln, was zu regeln ist und
sich mit seiner Herkunft zu versöhnen. Richtig losgekommen ist er von dem Ort
nie, für ihn gibt es „kein schöner Land“ als dieses, so verwüstet und
geschunden es auch ist. In „Sheriff Ketelsen“, der von einem Saloon träumt,
findet er am Ende einen guten Geist für den Ballsaal und schließlich auch zu
der Erkenntnis, dass Zeitalter kommen und gehen. In Brinkebüll läuft das
immerhin schon seit der Jungsteinzeit so, wie der Prähistoriker weiß. Seine
Mutter Marret, die in allem Zeichen dafür gesehen hat, behält am Ende dann doch
recht: „Die Welt geiht ünner“. Dank Dörte Hansen kann man das aber so gelassen
sehen, wie ihre Brinkebüller, denn mit Mittagsstunde hat sie den
Menschen im zerschrammten Altmoränenland ein wundervolles Denkmal gesetzt.
Mittagsstunde von Dörte Hansen ist bei Penguin erschienen.
(JK 02/19)
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