Literaturhaus
Mittwoch, 26.02.2020 19.30 Uhr
Schwanenwik 38, Hamburg
Eintritt: 8 / 12 Euro
Das Spiel mit dem Schmerz: Leona Stahlmann stellt
seinen soeben neu erschienenen Roman Palast der Miserablen, der bei Kein
& Aber erschienen ist. Tom Müller moderiert.
Ein Dorf im Schwarzwald, eingerahmt von Bergketten,
Wald und Wiesen, im Talkessel die Häuser im Ortskern mit niedriger Tenne, ein
Neubaugebiet, bisschen Tourismus, ein Wirtshaus, in dem Käsespätzle und
Maultaschen serviert werden. Das ist die auf den ersten Blick beschauliche
Idylle, in der Robert, Malene, Fabian, Miro, Mina, Vetko und Niklas
aufgewachsen sind. In dem Jahr, bevor sie das Dorf verlassen und in die Städte
gehen, geschieht nicht viel mehr als das Alltägliche und Vorhersehbare. Sie
sind plötzlich erwachsen geworden und lernen die Liebe kennen, den Schmerz,
auch Verzweiflung, Tod und ein Anderssein, für das es in ihrer Welt noch nicht
einmal eine Sprache gibt. Leona Stahlmann hat sie für ihr so glänzend erzähltes
wie hellsichtiges Debüt Der Defekt
gefunden.
Es gibt gleich mehrere Schubladen, in die sich
dieses Romandebüt einordnen und damit eben auch wegsortieren lässt: Coming of
Age, Heimat- und Liebesroman. Das trifft es alles irgendwie, denn die Hamburger
Autorin Leona Stahlmann, die 2017 mit einem Förderpreis für Literatur in
Hamburg ausgezeichnet wurde, erzählt von den Rissen in unseren Begriffen von
Heimat und Identität«, von „Mensch und Natur“ und „von der Wucht, wenn sie in
ihrer Rohheit aufeinandertreffen“, sie erzählt vom Erwachsenwerden und eine
Liebesgeschichte. All das ist richtig. Viel entscheidender ist jedoch, was die
Regie bei all dem führt, es ist der Schmerz, ein „sehr ordentliches Gefühl“,
wie es in dem Roman heißt: „Es glättete Minas krumme Synapsen, die wild in ihr
herumlagen wie verhedderte Kabel, es legte sie nebeneinander und zog sie
gerade. Schmerz räumte in Mina auf, Schmerz richtete sie aus und bestimmte ihre
Kartografie neu: Wo sie sich befand mit ihrem Kopf und in ihrem Körper,
zeichnete der Schmerz hilfsbereit für sie ein, mit farbig leuchtenden
Orientierungspunkten.“ Der Einzelgänger Vetko beschert Mina diese "leuchtenden
Minuten“, zuerst noch zögernd und unschuldig, doch bald testen sie gemeinsam
die Grenzen ihres Spiels aus. Die Streifen, die auf Minas „Oberschenkeln glühten,
wo vorher unversehrte Haut gewesen war“, sind dabei noch harmlos, sie muss sie
nur vor neugierigen Blicken verstecken. Eine gefährliche Grenze überschreiten
sie, als Vetko sie eines Nachts beim Schwimmen in einem See unter Wasser
drückt. Während Vetkos Forderungen immer existenzieller werden, weiß Mina bald
nicht mehr, wie weit sie noch gehen soll, wem sie sich anvertrauen kann, was
richtig ist und falsch. Als Kind, erinnert sie sich, hat sie „immer auf Wunden
gezeigt und sie Wunder genannt“. Aus dem Versprecher wird am Ende ein
Versprechen, das ihr den Weg weist: „Solang sie verwundbar ist, wird um jede
Wunde herum noch immer Ort und Wald und Herzschlag eines anderen sein und sie
ein Teil davon.“
Leona Stahlmann, geboren 1988, lebt in Hamburg und arbeitet
als Autorin, Journalistin und Veranstalterin. 2017 gewann sie den Hamburger
Förderpreis für Literatur, 2018 war sie Stipendiatin der Romanwerkstatt des
Literaturforums im Brecht-Haus in Berlin und gewann den ersten
Wortmeldungen-Förderpreis.
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