
Ian McEwans neuer Roman Solar, der bei Diogenes erschienen ist, ist eine ebenso gnadenlose wie vielschichtige Abrechnung mit der Politik, dem Wissenschaftsbetrieb – und einer Sorte Mann.
Michael Beard ist Physiker. Er gehörte zu jener Sorte Männer – nicht wirklich attraktiv, meist kahl, klein, dick und klug –, die auf gewisse schöne Frauen erstaunlich anziehend wirkt – ein Frauenheld. Zugute kam ihm dabei auch, dass manche Frauen ihn für ein Genie hielten, das man retten musste. Im Moment allerdings war Michael Beard nicht in bester Verfassung, lustlos, verzweifelt, nur auf eins fixiert, denn gerade ging seine fünfte Ehe in die Brüche. Michael Beard, 53 Jahre, hat den Nobelpreis für Physik erhalten, doch er ist alles andere als nobel. Im Beruf ruht er sich auf seinen Lorbeeren aus, privat hält es ihn auf Dauer bei keiner Frau. Seine besten Zeiten hat er hinter sich. Er gibt seinen Namen für Briefköpfe her, käut seine prämierte Idee in Vorträgen wieder und ergattert Fördergelder für ein politisches Prestigeprojekt: das Institut für Erneuerbare Energien. Wirklich neue Energie aber steckt er nur in den privaten Bereich: Während seiner fünften Ehe hat er es zu elf Affären gebracht. Nun aber rächt sich seine Frau und nimmt sich einen Liebhaber. Genau in dem Moment, als alles ins Wanken gerät, bietet sich ihm die Gelegenheit zu einem Coup. Die geniale Idee eines Rivalen sorgt für Zündstoff in seinem Leben.
Der Roman Solar führt den Leser von London in die Arktis und bis nach New Mexico. In diesem Buch geht es jedoch nicht nur um Sonnenenergie, sondern auch um kriminelle Energie. Ian McEwan ist es gelungen, ein ernstes Thema als Vehikel für seinen Roman zu benutzen, wo er es beliebig mit Sarkasmus überschütten darf. Dass der Held, der in Sachen Klimawandel besorgt rund um den Globus reist und die Welt aufrütteln will, sich insgeheim nur um sein Privatleben mit „Wein und Weib“ sorgt, schlachtet der Autor genüsslich aus. Trotz dieser satirischen Konstellation gerät der Roman nicht zu einer Posse. Das Thema bleibt bei aller Komik ernst und wird nicht verharmlost. Es ist allein Ian McEwans großartige Schreibkunst, diese Konstellation aufzubauen und daraus einen großartigen Roman zu erschaffen.
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt in London. 1998 erhielt er für Amsterdam den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für das Gesamtwerk. Sein Roman Abbitte wurde zum Weltbestseller und mit Keira Knightley verfilmt. Er ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences. 2005 reiste er in die Arktis.
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