Mircea Cărtărescu: Travestie (Suhrkamp)

Der rumänische Autor Mircea Cărtărescu wird von der Kritik zu den großen europäischen Schriftstellern der Gegenwart gezählt als begnadeter Visionär und Sprachkünstler der Literatur. Sein frühes Meisterwerk Travestie, ein Adoleszenz- und Künstlerroman, jetzt bei Suhrkamp erschienen, erzählt von der Suche eines jungen Menschen nach sich selbst.

Der sensible, verschlossene Victor könnte ein Geschöpf von Marcel Prousts sein, so rauschhaft erfährt er die Welt, die ihn im krisenhaften Sommer 1973 umgibt: das Guthaus in Budila, wo er mit seinen Mitschülern die Ferien verbringt, den geheimnisvollen Park und das „Tal des Paradieses“. Doch dieser kleine Kosmos bevölkert sich nachts mit den Gespenstern, die aus den Katakomben seines Bewusstseins aufsteigen. Die dreiste sexuelle Berührung seines Mitschülers Lulu, der sich beim Abschiedskarneval als Frau verkleidet hat, stößt ihn in eine Krise, die er erst nach vielen Jahren, buchstäblich auf der letzten Seite der Travestie überwunden hat.

Mircea Cărtărescus Buch ist keine leicht zu lesende Kost. Der Autor taucht tief in die Psyche des 17-jährigen Victor ab und entblättert ein in die Fantasik abdriftendes Horroszenario von Erlebnissen in der Pubertät, die erst über Jahre  verarbeitet werden können. Der Leser begibt sich mit diesem Buch auf einen literarischen Parforceritt, der nicht als Unterhaltungslektüre konzipiert ist. Aber dabei läge man sowieso bei Mircea Cărtărescu falsch.

Mircea Cărtărescu, 1956 in Bukarest geboren, veröffentlicht seit 1978 Lyrik und Prosa. 1997 erschien Nostalgia, 2007 der erste Teil seiner Orbitor-Trilogie unter dem Titel Die Wissenden.

Travestie von Mircea Cărtărescu ist bei Suhrkamp erschienen.
(JK 12/10)

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