Brasilien
– Ehrengast 2013 der Frankfurter Buchmesse
São Paulo in den siebziger Jahren. K., Besitzer
eines Geschäfts für Herrenmode, erhält einen Anruf aus dem Labor, in dem seine
Tochter als Chemikerin arbeitet: sie sei seit vierzehn Tagen dort nicht mehr
erschienen. Er fragt ihre Freunde, Bekannte, geht mit ihrem Foto zur Polizei –
bis er schließlich auf Umwegen erfährt, dass sie seit Jahren ein Doppelleben
führte und mit ihrem Mann verdeckt politisch arbeitete. Für K. ist das aus
mehreren Gründen schockierend: Er glaubte seine Tochter, sein Lieblingskind,
genau zu kennen und hielt sie für völlig unpolitisch. Und er begreift nicht,
warum gerade er, der Mitte der dreißiger Jahre in Polen selber Mitglied einer
jüdischen Widerstandsgruppe und nach einer Haftstrafe nach Brasilien geflohen
war, auffällige Indizien im Verhalten seiner Tochter komplett falsch
eingeschätzt hatte. Er hätte es wissen müssen und sie retten können. Sein Leben
besteht danach aus einer doppelten Suche: Er will herausfinden, wer seine
Tochter wirklich war, und, am wichtigsten: ob sie noch lebt. Diese Suche
provoziert Erinnerungen an seine eigene Jugend, wichtige Phasen seines Lebens,
die er vorher immer verdrängt hatte. So verschränkt sich brasilianische
überraschend mit europäischer Geschichte.
Eva Karnofsky meint im Forum Buch bei SWR2: „ein
lesenswerter und erschütternder Roman über ein dunkles Kapitel brasilianischer
Geschichte.“
Thomas Wörtche von der ZEIT schreibt in der Weltempfänger
litprom-Bestenliste: „Eine solche brasilianische Hölle mit den ebenso immer
gültigen Verbindungen von Macht, Folter und misogyner Unterdrückung inszeniert
Kucinskis wütend-intensives Erzählen.“
Bernardo Kucinski, 1937 in São Paulo als Sohn einer
polnisch-jüdischen Einwandererfamilie geboren, arbeitet als Wissenschaftler und
Journalist und war nach dem Ende der Diktatur lange Jahre enger Berater des
Präsidenten Lula da Silva. Er veröffentlichte zahlreiche politische und
wissenschaftliche Bücher. Dieses Buch, sein erster Roman, hat in Brasilien ein
überragendes Medienecho und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Es wurde
bereits ins Englische und Spanische übersetzt. Bernardo Kucinski, gilt auch als
wichtige Stimme der Angehörigen der desaparecidos – Menschen, die in der Zeit
der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) gefangen genommen oder
verschleppt wurden und seitdem als vermisst gelten. Dieses Schicksal widerfuhr
auch Kucinskis Schwester Ana Rosa Kucinski Silva. Diese hatte sich Ende der
1960er Jahre einer Widerstandsgruppe angeschlossen, wurde 1974 gemeinsam mit
ihrem Mann festgenommen und gilt seither als verschwunden. Bernardo Kucinski
entstammt einer jüdisch-polnischen Familie. Sein Vater, Majer Kucinski, hatte
im Polen der 1930er Jahre wegen subversiver Aktivitäten zwei Jahre im Gefängnis
gesessen. Unter der Bedingung, das Land zu verlassen, wurde er freigelassen und
ging nach São Paulo ins Exil. Die Mutter Esther folgte zwei Jahre später.
Während die Familie des Vaters den Holocaust durch Flucht größtenteils
überlebte, wurde die Familie der Mutter fast vollständig in den
Vernichtungslagern ermordet. Nach langer Suche nach Ana Rosa Kucinski stieß man
im Archiv der Sonderpolizei São Paulo auf den Aktenvermerk „festgenommen am 22.
April 1974 in SP“.
K. oder die verschwundene Tochter von Bernardo Kucinski ist bei Transit erschienen.
(JK 10/13)
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