Weltberühmt machte ihn Der Name der Rose. Doch in Italien war Umberto Eco schon vor diesem
Bestseller bekannt – als Wissenschafter. Mit 84 Jahren ist der große
Intellektuelle am 19. Februar 2016 in Mailand gestorben.
Umberto Eco war ein Genie der
Gleichzeitigkeit. Von Denklust und einem unstillbarem Erkenntnishunger
besessen, gab sich der Zeichentheoretiker, Sprachphilosoph, Publizist und
Romancier nie mit einem wohlgeordneten Professorendasein zufrieden. Eco
beherrschte das Kunststück, vormittags an einem wissenschaftlichen Essay über
die Sterblichkeit zu arbeiten, nachmittags sein Institut in Bologna und die
Universität von San Marino zu betreuen, zwischendurch an einem neuen Roman zu
arbeiten, Übersetzungen seiner Bücher zu begutachten und auch noch eine halbe
Stunde für seine wöchentliche Glosse im Espresso abzuzwacken.
Dass er dabei nie zerfaserte oder sich von
theoretischen Moden vereinnahmen ließ, hing mit seiner festen Verankerung in
der abendländischen Kultur zusammen: Sein Fundament war das Mittelalter. Von
der Doktorarbeit über Thomas von Aquin bis hin zu seinen Standardwerken über
die Zeichentheorie Das offene Kunstwerk
(1962), Semiotik. Entwurf einer Theorie
der Zeichen (1975), Lector in fabula
(1979) und Die Grenzen der Interpretation
(1990) vertrat er eine Wissenschaftstradition, die sich wohltuend von dem bis
in die sechziger Jahre sämtliche geistigen Strömungen beherrschenden Idealismus
eines Croce abhob. Bahnbrechend war Ecos Ansatz deshalb, weil er die Kultur
insgesamt in sein Verständnis von Text mit einbezog. Comics, Fernsehserien,
Kinofilme und Werbung wurden ebenso untersucht wie Literatur, Objekte der
bildenden Kunst oder die Kompositionen seines Freundes Luciano Berio. Durch die
Arbeit beim Fernsehen – wo Eco nach seiner Promotion Mitte der fünfziger Jahre
eine Anstellung fand, bis er über einen Umweg als Verlagslektor bei Bompiani
1961 wieder an die Universität zurückkehrte – lernte Eco die technischen
Voraussetzungen und die Ausdrucksformen der neuen Medien kennen. Kein
italienischer Philosoph stand damals mit der Massenkultur auf so vertrautem Fuß
wie der 1932 in Alessandria geborene Umberto Eco. Elitäre Hochnäsigkeit war ihm
fremd: Eco dachte sich Quizfragen für die Ratesendungen von Mike Bongiorno aus.
Auf dem XII. Internationalen
Philosophenkongress zwei Jahre darauf sprach Eco erstmals von der „Offenheit“
moderner Kunstwerke und brachte die Interpretation des Betrachters als
zentrales Moment der Sinnstiftung ins Spiel. Sein Kommunikationsmodell
bereitete den Boden für eine neue wissenschaftliche Disziplin: die Semiotik.
Auf der Grundlage von Peirce entwarf Eco eine komplexe Theorie der
Zeichen-Interpretation. Die Semiotik untersuche alles, was man zum Lügen
verwenden könne, definierte der an der systematischen Scholastik geschulte
Professor sein Forschungsgebiet einmal: Damit ein Phänomen zu einem Zeichen werde,
müsse es „im Geiste eines Anderen“ als Bedeutungsträger gelten. In diesem Sinne
ist Ecos Semiotik auch kulturkritisch. Wer etwas von der Machart der
Zeichenketten versteht, durchschaut den manipulativen Umgang mit Inhalten, wie
ihn Massenmedien praktizieren.
Umberto Ecos leichtfüßige Glossen über
Allerweltsphänomene, mit denen er seit den sechziger Jahren die
gesellschaftliche Entwicklung Italiens kommentierte, zählen zu den
faszinierendsten Stücken aus seiner Textwerkstatt. Dies hielt ihn jedoch nie
davon ab, immer wieder gegen die Verwahrlosung der Medien und den Niedergang
des Fernsehens zu wettern.
In Italien war Umberto Eco, der mit
Sanguineti, Ballestrini, Calvino, Malerba und anderen zu den Aktivisten des „gruppo
63“ gehörte und der italienischen Kultur einen erfrischenden
Internationalisierungsschub verabreichte, schon in den siebziger Jahren ein
bekannter Mann. Zu einem Weltstar machte ihn aber erst die Veröffentlichung
seines Mittelalterkrimis Der Name der
Rose (1980). Wie so oft in seiner Karriere bewies Eco piemontesische
Schlitzohrigkeit und überraschte durch einen plötzlichen Genrewechsel: Kaum
hatte er die Eigenschaften von Bestsellern auf theoretischer Ebene durchdrungen,
legte er flugs selber einen vor. Schon im Erscheinungsjahr brachte es die
Geschichte über eine Mordserie in einem Abruzzenkloster, ausgelöst durch die
Furcht vor der verderblichen Macht der Zeichen, auf sieben Millionen verkaufte
Exemplare.
Auf kaum ein zeitgenössisches italienisches
Buch hat sich die Wissenschaftsliga aus Mediävisten, Philologen und Philosophen
so begeistert gestürzt wie auf Ecos Roman und in wahren Interpretationsdelirien
sämtliche Pastiche-Techniken, Paraphrasen, Plagiate zutage gefördert. Im Namen der Rose führt William von
Baskerville seinem Schüler vor, wie Zeichen zu deutbaren Spuren werden (die
Abdrücke der Pferdehufe im Schnee) und wie Netze von Zeichen aufeinander
verweisen (abgeknickte Zweige, aufgeregte Mönche). Auch die folgenden Romane
verhalfen der akademischen Community zu amüsanten Bildungs-Schnitzeljagden. Der
Irrsinn des Interpretierens wird dem Protagonisten in Das Foucaultsche Pendel (1988) zum Verhängnis; und Roberto de la
Grive aus Die Insel des vorigen Tages
(1994), in der Barockzeit auf die Suche nach dem Fixpunkt zur Bestimmung der
Breitengrade geschickt, droht von der Interpretationskunst verschlungen zu
werden.
Einen Schelmenschwank lieferte Umberto Eco
mit Baudolino (2001): Inszeniert als
Gespräch zwischen dem Chronisten Niketa Choniates und dem Adoptivsohn des
Kaisers Barbarossa Baudolino, vermischt Eco Erfundenes mit abendländischer
Geschichte aus dem laizistischen Mittelalter. Während die seitenlang
zelebrierte Fabulierkunst hier an den Nerven zerrte, gelang Eco mit seinem
autobiografisch inspirierten Bilder-Bildungsroman Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana (2004) ein
überzeugender Coup. Der Antiquar Yambo Bodoni, durch einen Infarkt sämtlicher
autobiografischer Erinnerungen beraubt, sichtet das Vermächtnis seiner Kindheit
in den Dreißiger Jahren. Aus Abenteuergeschichten, Comics, Zeitschriften,
Schnulzen, faschistischer Propaganda entsteht ein kurzweiliges Museum der
Trivialmythen, sinnlich unterfüttert durch zahlreiche Abbildungen. Aber ohne
ein ordnendes Ich nützt die Enzyklopädie nichts: Yambos zielloses Versinken in
den Textwelten ist auch eine Parabel auf die Gefahren des Medienzeitalters. Im
Internet gehen jahrhundertealte Hierarchisierungen unseres Wissens verloren,
damit droht die Zerstörung unserer kulturellen Basis. Am Ende schält sich der
nächtliche Abstieg mit einer Partisanengruppe als Yambos Initiationserlebnis
heraus. Damit machte Eco die Erfahrungen der italienischen Resistenza zum Kern
einer exemplarischen Biografie, was zu Zeiten Berlusconis auch eine politische
Stellungnahme war. Ecos letztes Buch, Nullnummer
(2015) , ist eine bitterböse, leider nicht unrealistische Parodie auf unsere
verlogene Medienwelt. Sein letzter Streich aber war die Gründung des Verlags La
Nave di Teseo, mit dem er eine Alternative zum fusionierten Grosskonzern Mondazzoli
(Mondadori und Rizzoli) schuf.
Mit seiner aufklärerischen Verve stand Umberto
Eco für eine demokratische Kultur. Er verband theoretische Spitzfindigkeit mit
Urbanität, süffiges Erzählen mit einer Portion Selbstironie und war verwurzelt
in den großen Traditionen Italiens. Immer wieder mahnte er die Notwendigkeit
eines kanonischen Wissens an, denn ohne kulturellen Untergrund beraube sich der
alte Kontinent seines ureigenen Fundaments. Einen Kenner und Vermittler dieses
Fundaments haben wir jetzt verloren: Am 19. Februar ist Umberto Eco bei sich zu
Hause seiner Krankheit erlegen.
(Maike Albath)
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