Abschied von wichtigen literarischen Stimmen: Umberto Eco (*05.01.1932 †19.02.2016)

Weltberühmt machte ihn Der Name der Rose. Doch in Italien war Umberto Eco schon vor diesem Bestseller bekannt – als Wissenschafter. Mit 84 Jahren ist der große Intellektuelle am 19. Februar 2016 in Mailand gestorben.

Umberto Eco war ein Genie der Gleichzeitigkeit. Von Denklust und einem unstillbarem Erkenntnishunger besessen, gab sich der Zeichentheoretiker, Sprachphilosoph, Publizist und Romancier nie mit einem wohlgeordneten Professorendasein zufrieden. Eco beherrschte das Kunststück, vormittags an einem wissenschaftlichen Essay über die Sterblichkeit zu arbeiten, nachmittags sein Institut in Bologna und die Universität von San Marino zu betreuen, zwischendurch an einem neuen Roman zu arbeiten, Übersetzungen seiner Bücher zu begutachten und auch noch eine halbe Stunde für seine wöchentliche Glosse im Espresso abzuzwacken.

Dass er dabei nie zerfaserte oder sich von theoretischen Moden vereinnahmen ließ, hing mit seiner festen Verankerung in der abendländischen Kultur zusammen: Sein Fundament war das Mittelalter. Von der Doktorarbeit über Thomas von Aquin bis hin zu seinen Standardwerken über die Zeichentheorie Das offene Kunstwerk (1962), Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen (1975), Lector in fabula (1979) und Die Grenzen der Interpretation (1990) vertrat er eine Wissenschaftstradition, die sich wohltuend von dem bis in die sechziger Jahre sämtliche geistigen Strömungen beherrschenden Idealismus eines Croce abhob. Bahnbrechend war Ecos Ansatz deshalb, weil er die Kultur insgesamt in sein Verständnis von Text mit einbezog. Comics, Fernsehserien, Kinofilme und Werbung wurden ebenso untersucht wie Literatur, Objekte der bildenden Kunst oder die Kompositionen seines Freundes Luciano Berio. Durch die Arbeit beim Fernsehen – wo Eco nach seiner Promotion Mitte der fünfziger Jahre eine Anstellung fand, bis er über einen Umweg als Verlagslektor bei Bompiani 1961 wieder an die Universität zurückkehrte – lernte Eco die technischen Voraussetzungen und die Ausdrucksformen der neuen Medien kennen. Kein italienischer Philosoph stand damals mit der Massenkultur auf so vertrautem Fuß wie der 1932 in Alessandria geborene Umberto Eco. Elitäre Hochnäsigkeit war ihm fremd: Eco dachte sich Quizfragen für die Ratesendungen von Mike Bongiorno aus.

Auf dem XII. Internationalen Philosophenkongress zwei Jahre darauf sprach Eco erstmals von der „Offenheit“ moderner Kunstwerke und brachte die Interpretation des Betrachters als zentrales Moment der Sinnstiftung ins Spiel. Sein Kommunikationsmodell bereitete den Boden für eine neue wissenschaftliche Disziplin: die Semiotik. Auf der Grundlage von Peirce entwarf Eco eine komplexe Theorie der Zeichen-Interpretation. Die Semiotik untersuche alles, was man zum Lügen verwenden könne, definierte der an der systematischen Scholastik geschulte Professor sein Forschungsgebiet einmal: Damit ein Phänomen zu einem Zeichen werde, müsse es „im Geiste eines Anderen“ als Bedeutungsträger gelten. In diesem Sinne ist Ecos Semiotik auch kulturkritisch. Wer etwas von der Machart der Zeichenketten versteht, durchschaut den manipulativen Umgang mit Inhalten, wie ihn Massenmedien praktizieren.

Umberto Ecos leichtfüßige Glossen über Allerweltsphänomene, mit denen er seit den sechziger Jahren die gesellschaftliche Entwicklung Italiens kommentierte, zählen zu den faszinierendsten Stücken aus seiner Textwerkstatt. Dies hielt ihn jedoch nie davon ab, immer wieder gegen die Verwahrlosung der Medien und den Niedergang des Fernsehens zu wettern.

In Italien war Umberto Eco, der mit Sanguineti, Ballestrini, Calvino, Malerba und anderen zu den Aktivisten des „gruppo 63“ gehörte und der italienischen Kultur einen erfrischenden Internationalisierungsschub verabreichte, schon in den siebziger Jahren ein bekannter Mann. Zu einem Weltstar machte ihn aber erst die Veröffentlichung seines Mittelalterkrimis Der Name der Rose (1980). Wie so oft in seiner Karriere bewies Eco piemontesische Schlitzohrigkeit und überraschte durch einen plötzlichen Genrewechsel: Kaum hatte er die Eigenschaften von Bestsellern auf theoretischer Ebene durchdrungen, legte er flugs selber einen vor. Schon im Erscheinungsjahr brachte es die Geschichte über eine Mordserie in einem Abruzzenkloster, ausgelöst durch die Furcht vor der verderblichen Macht der Zeichen, auf sieben Millionen verkaufte Exemplare.

Auf kaum ein zeitgenössisches italienisches Buch hat sich die Wissenschaftsliga aus Mediävisten, Philologen und Philosophen so begeistert gestürzt wie auf Ecos Roman und in wahren Interpretationsdelirien sämtliche Pastiche-Techniken, Paraphrasen, Plagiate zutage gefördert. Im Namen der Rose führt William von Baskerville seinem Schüler vor, wie Zeichen zu deutbaren Spuren werden (die Abdrücke der Pferdehufe im Schnee) und wie Netze von Zeichen aufeinander verweisen (abgeknickte Zweige, aufgeregte Mönche). Auch die folgenden Romane verhalfen der akademischen Community zu amüsanten Bildungs-Schnitzeljagden. Der Irrsinn des Interpretierens wird dem Protagonisten in Das Foucaultsche Pendel (1988) zum Verhängnis; und Roberto de la Grive aus Die Insel des vorigen Tages (1994), in der Barockzeit auf die Suche nach dem Fixpunkt zur Bestimmung der Breitengrade geschickt, droht von der Interpretationskunst verschlungen zu werden.
Einen Schelmenschwank lieferte Umberto Eco mit Baudolino (2001): Inszeniert als Gespräch zwischen dem Chronisten Niketa Choniates und dem Adoptivsohn des Kaisers Barbarossa Baudolino, vermischt Eco Erfundenes mit abendländischer Geschichte aus dem laizistischen Mittelalter. Während die seitenlang zelebrierte Fabulierkunst hier an den Nerven zerrte, gelang Eco mit seinem autobiografisch inspirierten Bilder-Bildungsroman Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana (2004) ein überzeugender Coup. Der Antiquar Yambo Bodoni, durch einen Infarkt sämtlicher autobiografischer Erinnerungen beraubt, sichtet das Vermächtnis seiner Kindheit in den Dreißiger Jahren. Aus Abenteuergeschichten, Comics, Zeitschriften, Schnulzen, faschistischer Propaganda entsteht ein kurzweiliges Museum der Trivialmythen, sinnlich unterfüttert durch zahlreiche Abbildungen. Aber ohne ein ordnendes Ich nützt die Enzyklopädie nichts: Yambos zielloses Versinken in den Textwelten ist auch eine Parabel auf die Gefahren des Medienzeitalters. Im Internet gehen jahrhundertealte Hierarchisierungen unseres Wissens verloren, damit droht die Zerstörung unserer kulturellen Basis. Am Ende schält sich der nächtliche Abstieg mit einer Partisanengruppe als Yambos Initiationserlebnis heraus. Damit machte Eco die Erfahrungen der italienischen Resistenza zum Kern einer exemplarischen Biografie, was zu Zeiten Berlusconis auch eine politische Stellungnahme war. Ecos letztes Buch, Nullnummer (2015) , ist eine bitterböse, leider nicht unrealistische Parodie auf unsere verlogene Medienwelt. Sein letzter Streich aber war die Gründung des Verlags La Nave di Teseo, mit dem er eine Alternative zum fusionierten Grosskonzern Mondazzoli (Mondadori und Rizzoli) schuf.

Mit seiner aufklärerischen Verve stand Umberto Eco für eine demokratische Kultur. Er verband theoretische Spitzfindigkeit mit Urbanität, süffiges Erzählen mit einer Portion Selbstironie und war verwurzelt in den großen Traditionen Italiens. Immer wieder mahnte er die Notwendigkeit eines kanonischen Wissens an, denn ohne kulturellen Untergrund beraube sich der alte Kontinent seines ureigenen Fundaments. Einen Kenner und Vermittler dieses Fundaments haben wir jetzt verloren: Am 19. Februar ist Umberto Eco bei sich zu Hause seiner Krankheit erlegen.

(Maike Albath)

Keine Kommentare: