Deutsches
Schauspielhaus
Dienstag
25.10.2016
20.00 Uhr
Kirchenallee 39, Hamburg
Eintritt: 9 / 15 Euro
Christian Kracht liest aus seinem neuen Roman Die
Toten, der bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.
Bei keinem anderen
deutschsprachigen Schriftsteller ist der Blick auf das Werk von einer so
geheimnissatt lumineszierenden Aura aufgeladen wie bei Christian Kracht. Er
wurde als Popliterat gefeiert, als arroganter Schnösel gescholten und ist
tatsächlich ein überaus erfolgreicher Publizist und weltgewandter Dandy, der
nach Stationen u.a. in Neu Delhi, Bangkok und Katmandu heute in Los Angeles
lebt. Mit seinem neuen Roman Die Toten, einer fährtenreichen
Historien-Harakiri-Hollywood-Geschichte, die in der Filmindustrie zur Zeit des
heraufdämmernden Faschismus spielt, hat er den Literaturbetrieb in helle
Aufregung versetzt.
Am Anfang steht ein Buch,
so ist das gewöhnlich. Bei Christian Kracht ist es etwas anders: Die
Buchpremiere seines letzten Romans musste er absagen, weil ihm ein paar Tage
vor Erscheinen von Imperium der Vorwurf ein „Türsteher der rechten
Gedanken“ (SpiegelOnline) zu sein entgegen krachte, der dann landauf und landab
kommentiert wurde. Dabei ist der Roman über einen Aussteiger, der Anfang des 20.
Jahrhunderts in Deutsch-Neuguinea eine Kokosplantage betreibt, wie es fast
unisono hieß, eine sehr geistreiche und auch komische Studie über die
Zerbrechlichkeit und Vermessenheit menschlichen Handelns. Solche
Missverständnisse eilten dem neuen Roman nicht voraus und doch stand, noch
bevor Die Toten erschien, erneut der Autor im Rampenlicht: Dennis Scheck
hat sich zum Interview in den Hollywood Hills mit Kracht getroffen, wo das
Finale des Romans spielt. Kracht lässt im üblichen Tweedsakko wissen, dass er
die Literatur nicht für ein „Organ der Weltverbesserung“ hält und bleibt sonst
gewohnt freundlich und eher einsilbig. Einen „Roman, der für die Literatur das
bedeutet, was der Tonfilm für den Film bedeutete, eine Revolution“ empfiehlt
abschließend Dennis Scheck. Es blieb nicht die einzige Eloge, mit der dieser
Roman vorab gefeiert wurde.
Was ist so ungewöhnlich
und wegweisend an Die Toten? Die Erzählperspektive ist denkbar
konventionell, ein allwissender Erzähler berichtet von einer verrückten
Geschichte, die sich um 1933 zuträgt, als der Tonfilm sich anschickt die Welt
zu erobern: Masahiko Amakasu, ein japanischer Kulturbeamter, hochbegabt und
tief beschädigt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem „allmächtig erscheinenden
US-amerikanischen Kulturimperialismus entgegenzuarbeiten“. Er wendet sich
hilfesuchend an deutsche Fachleute zur Etablierung einer „zelluloiden Achse“
gegen Hollywood. Der Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli, den Tod seines Vaters
betrauernd, depressiv und neurotisch, reist schließlich mit dem Plan nach
Japan, einen „Schauerfilm“ für die UFA zu drehen, obwohl er dafür einen
faustischen Pakt mit dem Medienunternehmer und Nazi Alfred Hugenberg eingehen
muss. In Japan trifft er Amakasu und seine Verlobte, die Schauspielerin Ida.
Der Film, den er dreht, heißt am Ende „Die Toten“, so wie der Roman von
Christian Kracht.
Im ersten Teil erfahren
wir die Lebensgeschichten von Nägeli und Amadasu. Um die beiden Hauptfiguren
herum gruppiert sich schließlich ein prominentes Figurentableau. Dazu gehören
die beiden Filmkritiker und –historiker Siegfried Kracauer und Lotte Eisner
ebenso wie Charly Chaplin, Heinz Rühmann oder Ernst Hanfstaengl. Mit einem
ganzen Apparat spielerischer Verweise werden zudem bis ins adjektivreiche, weit
ausmäandernde Satzgefüge hinein die „eichendorffschen Geheimnisse“ und
„hölderlinschen Zonen“ in einem der Zeitenwende entgegen „zitternden Europa“
beschworen. Manchmal ist das hellsichtig, manchmal komisch, manchmal auch
albern und manchmal geht es in die Hose, etwa wenn „ungezählte
Hakenkreuzfahnen“ an den „Fassaden Berlins hängen, wie geistlose Schwalben“.
Die Dramaturgie des
Romans folgt der Trias jo-ha-kiu des japanischen Nō-Theaters, doch auch das ist
am Ende nur ein Echo im Kanon der vielen Verweise, denen man folgen kann oder
nicht, entscheidend bleibt, dass Christian Kracht – entgegen den verbreiteten
Rezepten der Literatur der westlichen Welt – einem experimentellen Ansatz
folgt. Große Themen werden in Die Toten aufgeworfen, es geht um Technik
und Kunst, Bildsprache und Verantwortung, die Zumutungen der Vergänglichkeit
und vor allem auch die Enttäuschungen, mit denen wir leben müssen, weil wir,
sobald wir in einem ekstatischen Augenblick, „jenen Zeitschleier durchbrechen,
der uns Sterbliche daran hindert, die Kosmologie unseres Seins zu erfassen“,
sehr schnell wieder mit der Kosmologie des schaurigen Scheins konfrontiert und
also desillusioniert sind. Im intertextuellen Großraum, den Kracht für seinen
Roman direkt an der Abbruchkante der Moderne installiert hat, blendet man das
leicht immer wieder für einen Moment aus, bevor das Lächeln wieder einfriert.
Antworten gibt dieser Roman natürlich nicht. Aber man wird am Schluss mit
immerhin zwölf leeren Seiten belohnt - für all die bleibenden Fragen.
Die Toten von Christian Kracht ist bei
Kiepenheuer
& Witsch erschienen.
Eine Veranstaltung der Buchhandlung Heymann.
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