Juan Gabriel Vásquez: Die Reputation (Schöffling)

Der kolumbianische Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez erzählt in seinem neuen, bei Schöffling erschienenen, Roman Die Reputation packend von der Last der Vergangenheit und dem Versagen der Erinnerung.

Javier Mallarino ist eine lebende Legende. Er ist der einflussreichste politische Karikaturist Kolumbiens, ein Mann, der in der Lage ist, ein Gerichtsurteil zu kippen, einen Bürgermeister zu stürzen oder ein Ministerium ins Wanken zu bringen – dazu braucht er nur Papier und Feder. Politiker wie Regierung fürchten seinen gnadenlosen Blick. Mit 65 Jahren, nach vier Jahrzehnten einer glänzenden Karriere, liegt ihm das Land zu Füßen. Doch dann erhält er unerwartet Besuch von einer jungen Frau, die ihn mit einer lange vergangenen Nacht konfrontiert, und zum ersten Mal wird die Verantwortung für seine Zeichnungen zu einer Bürde. 

Es gibt gewisse Dinge, die westliche Leser von einem kolumbianischen Schriftsteller erwarten, und genau die vermeidet Juan Gabriel Vásquez. Seine Prosa ist minimal, scharf und klar. Seine Romane sind verwurzelt in historischen Tatsachen und scheuen den typischen magischen Realismus lateinamerikanischer Literatur. Er hat sich entschieden, nicht in die Drogen-und-Gewalt-Thematik seiner Heimat einzusteigen, die gerade bei Hollywood-Drehbuchautoren beliebt ist. Seine Geschichten sind anders angelegt. Sie spielen z.B. in Belgien oder handeln von kolumbianischen Juden und Nazis während des zweiten Weltkriegs. Lediglich sein Erfolgsroman Das Geräusch der Dinge beim Fallen warf zumindest einen Seitenblick auf den Drogenhandel. Vásquez‘ Kolumbien ist in vielerlei Hinsicht kulturell näher an Europa als am Macondo und an der Karibikküste von Gabriel García Márquez. Vásquez wuchs in Bogotá auf, einer regnerischen Stadt auf einer Hochebene von 2500 Metern, wo die übliche Kleidung aus Wolle besteht und Mantel getragen wird. Die Reputation ist sein erster Roman seit seiner Rückkehr nach Bogotá, und spielt im gebildeten Mittelstand der Hauptstadt. Dies ist eine Welt der schönen Häuser in den Bergen, der Kunstgalerien und Cocktailpartys. Der Roman spielt meisterhaft mit den Grenzen von Öffentlichem und Privatem und lässt den Leser auf beklemmende Weise jegliche Gewissheit verlieren. Es ist ein schmales, fesselndes Buch über Vergessen und in den Hintergrund drängen, über Schuld und Vergebung. Quälende Fragen über Doppelmoral und Bigotterie werden durch kritisch hinterfragte Formulierungen poetisch verdichtet.

Juan Gabriel Vásquez wurde 1973 in Bogotá geboren und studierte lateinamerikanische Literatur an der Sorbonne. Er hat unter anderem Victor Hugo, E. M. Forster und John Dos Passos übersetzt sowie preisgekrönte Erzählungen und Essays publiziert. Seine Werke wurden bisher in 16 Sprachen übersetzt. Bei Erscheinen seines Romans Die Informanten nannte ihn der Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa „eine der originellsten neuen Stimmen der lateinamerikanischen Literatur“. Im März 2011 wurde Vásquez mit einem der wichtigsten Literaturpreise der spanischsprachigen Welt ausgezeichnet – dem Alfaguara-Literaturpreis. 2014 wurde Juan Gabriel Vásquez für Das Geräusch der Dinge beim Fallen auch mit dem renommierten IMPAC Award ausgezeichnet. Juan Gabriel Vásquez lebt als Schriftsteller mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bogotá. 

Die Reputation  von Juan Gabriel Vásquez ist bei Schöffling erschienen. 
(JK 07/16)

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