Literaturhaus
Mittwoch, 01.03.2017 19.30 Uhr
Schwanenwik 38, Hamburg
Eintritt: 6 / 10 Euro
„Dieser
Tritt, das bin ich“: Fatma Aydemir liest aus ihrem Buch Ellbogen, das bei Hanser erschienen ist. Marie Schmidt moderiert
den Abend.
Geschichten
wie diese erfährt man sonst aus Sozialreportagen über das Leben von Menschen
mit Migrationshintergrund und manchmal werden sie auch zur Nachricht, die
landauf und landab in den Medien kursiert. In Schnipseln aus Polizeiberichten,
O-Tönen von Betroffenen und Allgemeinplätzen setzt sich dann ein Geschehen
zusammen, das so verknappt nicht fassbar wird. Die in Berlin lebende
taz-Redakteurin Fatma Aydemir erzählt in ihrem Romandebüt Ellbogen eine dieser Geschichten. Sie erzählt von Hazal, die im
Berliner Wedding geboren wurde, aufgewachsen ist und eigentlich auch nichts
anderes kennt als ihren Kiez, bis sie ihre Wut nicht mehr im Griff hat.
Es
beginnt ganz harmlos und mit einem geklauten Lippenstift, den ein kleines
Mädchen in einem Supermarkt mitnimmt, ohne so genau zu wissen, warum und wozu.
Als die Mutter der kleinen Hazal davon erfährt, flippt sie völlig aus und
schlägt sie. Man fragt sich an dieser Stelle des Romans natürlich, ob es so
weiter geht mit dieser typischen Migrationsgeschichte: Hazals Vater ist
Taxifahrer, der seine Freizeit mit Freunden im Café verbringt, die Eltern
führen eine lieblose Beziehung, der Bruder ist ein Kleinkrimineller, der zu
Hause alle Freiheiten genießt, während von Hazal erwartet wird, dass sie sich
klein macht. Kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag wird sie dann wieder beim
Klauen erwischt, doch das ist nur das böse Vorzeichen eines Gewaltausbruchs in
ihrer Geburtstagsnacht. Gemeinsam mit ihren Freundinnen begeht sie in der
U-Bahn ein Verbrechen, für das es keine Entschuldigung gibt. „Dieser Tritt, das
bin ich“, sagt sie, und spart sich jeden Versuch einer Erklärung, schließlich
war sie nicht nur in der Nacht wütend, sie war es schon vorher die ganze Zeit
über. Hazal flieht daraufhin nach Istanbul, das sie bisher nur aus dem
Fernsehen kennt und gerät dort in ein zum Zerreißen gespanntes Klima, in dem
ihre Suche nach Halt und nach Heimat ebenso scheitert wie im Wedding.
Fatma
Aydemir stellt mit Ellbogen die große
Frage: „Was kann aus einem Mädchen wie Hazal in dieser Welt werden?“ Und sie
gibt in einer knappen, dialogstarken Sprache eine Antwort, die eine Ohrfeige
für die liberale Mehrheitsgesellschaft, für diese satte Verlogenheit der so
toleranten und wohlsortierten Deutschen ist, und eine Ohrfeige für die
patriarchale und frauenfeindliche türkische Gesellschaft.
Fatma Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren. 2007 bis 2012 studierte
sie Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2012 lebt sie in
Berlin und ist Redakteurin bei der taz. Als freie Autorin schreibt sie daneben
für zahlreiche Zeitschriften, unter anderem Spex und das Missy Magazine.
Ellbogen
von Fatma
Aydemir ist bei Hanser erschienen.
(JK 02/17)
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