Frankreich – Ehrengast 2017 der
Frankfurter Buchmesse
Der Roman Der Fall Meursault - Eine Gegendarstellung von Kamel Daoud, erschienen bei Kiepenheuer
& Witsch, gibt dem namenlosen Toten
aus dem weltberühmtem Roman Der Fremde von Albert Camus ein Gesicht. Es
ist ein Roman aus Algerien, der um die Welt geht: in Frankreich ein
Riesenbestseller, in den USA und England als literarische Sensation gefeiert,
jetzt in deutscher Übersetzung. Er erzählt die Geschichte des namenlosen
Arabers aus Camus’ weltberühmtem Roman Der Fremde – erzählt von dessen
Bruder.
Der alte Mann, der Nacht
für Nacht in einer Bar in Oran seine Geschichte und die seines Bruders Moussa erzählt,
ist der Bruder jenes Arabers, der 1942 von einem gewissen Meursault, den
angeblich die Sonne blendete, am Strand von Algier erschossen wurde – in einem
der berühmtesten Romane des 20. Jahrhunderts. Der weltberühmte Roman Der
Fremde von Albert Camus erzählt, wie es dazu kam und davon, wie Meursault
der Prozess gemacht und er am Ende nicht so sehr für den Mord, den er begangen
hat, verurteilt wird, sondern für die Emotionslosigkeit, die er bei der Tat und
auch später immer wieder zur Schau stellt. Das Opfer, der Araber, bleibt dabei
stets namenlos. Indem er nun – 70 Jahre später – die Geschichte seines Bruders
bis zu dessen gewaltsamem Tod erzählt, gibt der alte Mann dem Araber seinen
Namen zurück und damit eine Identität und eine Geschichte. Und er macht seinem
Ärger Luft, seiner Trauer, der Wut und der Frustration über sein eigenes Leben
im Schatten dieses Todes. Kamel Daoud verzahnt in seinem Erstlingsroman die
Geschichte der beiden Brüder mit der Geschichte Algeriens und mit dem Roman von
Camus. Eine Geschichte, die untrennbar mit der Geschichte Algeriens verknüpft
ist und doch gleichzeitig so berührend und persönlich, dass man das Buch nicht
mehr aus der Hand legen kann. Ein großer Roman darüber, wie die Vergangenheit
unsere Gegenwart prägt, und über die ungebrochene Kraft der Literatur, eine
tiefere Erkenntnis, eine verborgene Wahrheit ans Licht zu bringen.
Das Buch gilt jetzt schon
als Klassiker – gleichwertig zu Camus’ Roman. Le monde des livres aus
Frankreich jubelt: „Ein großartiger Roman. In Zukunft wird man Der Fremde
und Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung nebeneinander lesen.“
Albert
Camus‘ Roman Der Fremde ist
Pflichtlektüre für alle, die sich eingehender mit der französischen Kultur und
Sprache beschäftigen. Der Roman gilt als eines der Hauptwerke der Philosophie
des Existentialismus und gehört zum Kanon der Weltliteratur. Umso gewagter ist
da die Idee des Autors, eine Gegendarstellung zu verfassen. Er variiert das
Original und streut Anspielungen ein. Er macht aus seinem Roman keine Kopie des
Originals, sondern überträgt ihn in eine arabische Version. Die kühle, distanzierte,
ungerührte Prosa in Camus‘ Original, was den Roman zum Kult machte, wird
gekontert mit einer emotionalen, leidenschaftlichen bis hin zu einer zur
Geschwätzigkeit neigenden Prosa. Der eurozentrische Blick in Camus‘ Werk wird
gegen einen arabischzentrierten Blick eingetauscht. Von der Idee her ist das
brillant und verdient Respekt. Den Roman allerdings auf eine Stufe mit Albert
Camus‘ Werk zu setzen, ist hingegen gewagt. Der Roman ist ein wichtiger Beitrag
für den postkolonialen Diskurs, er schreibt die Geschichte des Fremden nicht
neu sondern anders. Gerade die Umkehr des Blicks machen diesen Roman spannend.
Doch Albert Camus‘ genailes Werk Der Fremde kann dadurch nicht
egalisiert werden.
Kamel
Daoud, Jahrgang 1970, im algerischen Mostaganem geboren, war Journalist beim
Quotidien d’Oran, für den er mehr als 12 Jahre lang eine der meistgelesenen
politischen Kolumnen in Algerien schrieb. Er lebt in Oran. Kamel Daoud hat
bereits einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Der Fall Meursault – eine
Gegendarstellung ist sein erster Roman, für den er u.a. mit dem Prix
Goncourt du Premier Roman, dem Prix Mauriac und dem English PEN Award
ausgezeichnet wurde.
Der Fall Meursault –
eine Gegendarstellung von Kamel Daoud ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
(JK 08/17)
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