Nochtwache im Nochtspeicher
Dienstag 14.11.2017 19.30 Uhr
Bernhard-Nocht-Str. 65a, Hamburg
Eintritt: 10 / 14 Euro, , 20.00 Uhr, 9.- Euro
YACHTclub: Christian Schüle stellt sein Buch Heimat.
Ein Phantomschmerz vor, das bei Heyne Hardcore erschienen ist.
So
viel Heimat war nie. Es gibt sie als Wort in Verbindung mit der Scholle und dem
Land, dem Dorf und der Stadt, dem Recht und dem Boden, dem Stolz und dem
Schutz, der Liebe, dem Film, dem Roman. Und in Bayern, wo man ein besonders
inniges Verhältnis zur Heimat pflegt, gibt es sogar einen Heimatminister, der
für „Landesentwicklung und Breitbandausbau“ zuständig ist. In keiner anderen
Sprache ist Heimat mit so viel Sinn aufgeladen wie im Deutschen, und es boomt
weiter ungebrochen, was immer sich rund um Heimat und Herkunft schart. Auch in
der deutschen Gegenwartsliteratur werden zentrale gesellschaftliche Probleme
seit Jahren bevorzugt in Provinz- und Dorfromanen durchbuchstabiert. Der Autor
und Publizist Christian Schüle entwirft in seinem Heimat“-Buch nun eine
schöne Utopie für das Zusammenleben in Großstädten.
„Wir
lieben dieses Land. Das ist unsere Heimat. Diese Heimat spaltet man nicht. Für
diese Heimat werden wir kämpfen.“ Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt
hat sich mit ihrem patriotischen Bekenntnis zur Heimat kurz nach den
Bundestagswahlen viel Widerspruch aus der eigenen Partei eingehandelt, befindet
sich aber in bester Gesellschaft. Ob Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
oder einfache Abgeordnete aller Fraktionen, übereifrig wird in der Politik die
„Sehnsucht nach Heimat“ beschworen, die Christian Schüle im Untertitel seines
Buches als „Phantomschmerz“ bezeichnet. Ausgangspunkt seiner vielschichtigen
Diagnose in „Betrachtungen, Gedankensplittern und Fragmenten“ ist die These,
dass uns etwas verloren geht, dass Heimat sich „als seelische und physische
Behausung“ im grenzenlosen globalen Marktplatz und dem „gigantischen
Möglichkeits-Raum an koexistenten Lebensentwürfen und Kultur-Modellen“ auflöst.
Gleichzeitig erwächst aus dem Furor des Verschwindens eine immer größer
werdende Sehnsucht nach Verortung, nach Geborgenheit und Vertrautheit.
Trachten-, Schützen- und Heimatvereine, Dialekte, Waldblütenhonig und Omas
Pflaumenkuchen, all das formiert sich derzeit zu einer großen Anrufung von
Heimatverbundenheit und Verwurzelung und ist doch nur eine Inszenierung, die
vor allem von Großstädtern „gelikt“ wird.
Doch
was ist Heimat eigentlich jenseits dieses Kanons aus Kitsch und verklärten
Konventionen? „Eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache“, meinen Thea
Dorn und Richard Wagner. In ihrem Buch „Die deutsche Seele“ erklären sie:
„Heimat ist Ort und Zeit in einem, sie ist angehaltene Vergänglichkeit“, denn
sie „beruft sich auf die Kindheit“ und „kommt ohne die Herkunft nicht aus“.
Auch Christian Schüle beschreibt Heimat als etwas, das wir uns in der Kindheit
mit den ersten sozial kodierten Erfahrungen zuziehen und die uns, gebunden
vielleicht an einen Geruch, einen Klang, an eine Berührung, ein Leben lang
begleiten, ob wir wollen oder nicht, denn aussuchen kann man sich seine
Herkunft schließlich nicht. Schüle blättert in einer Trias aus „Konstruktion“,
„Politik“ und „Zukunft der Heimat“ in seinem Buch den ganzen Kanon der
Heimatzuschreibungen auf und geht ausführlich auch auf die Wanderungsbewegungen
der Gegenwart, auf die Bedeutung von Grenzen für die Konstruktion von Heimat
und die Möglichkeit ein, mehrere Heimaten für sich zu definieren.
Abschließend
und am „Finis terrae“ angekommen, wagt Christian Schüle dann noch einen großen
Streich, indem er mikrosoziale Gemeinschaften aus verschiedensten Kulturen, wie
sie in großen Metropolen schon heute zu Hause sind, als Keimzelle für einen
neuen Begriff von Heimat empfiehlt. Es ist eine Utopie, auf die man vorerst mit
Schüle antworten kann: „Die Wirklichkeit hat immer recht, jede andere
Behauptung unterliegt strenger Beweispflicht.“
Heimat. Ein Phantomschmerz von Christian
Schüle ist bei Droemer erschienen.
(JK 11/17)
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