cohen + dobernigg Buchhandel
Dienstag 21.11.2017 20.30 Uhr
Heilwigstr. 216, Hamburg
Eintritt: 8 Euro
Unendliche Weiten im Westerwald: Mariana Leky liest
aus ihrem Roman Was man von hier aus sehen kann, der bei Dumont
erschienen ist.
Es
ist ein ganz eigener Kosmos, den Mariana Leky in ihrem Roman Was man von
hier aus sehen kann öffnet, seine unendlichen Weiten liegen etwas abseits
von den großen Sternenhaufen, in denen das Leben sonst unbedingte
Anwesenheitspflicht erfordert und folgen manchmal ganz eigenen
Gesetzmäßigkeiten. Aber so ist das in einem kleinen Dorf im Westerwald eben,
besonders wenn Selma wieder einmal von einem Okapi geträumt hat. Dann kann sich
niemand mehr sicher sein, jeden könnte es treffen, obwohl das Okapi ein abwegiges
Tier ist. Viel abwegiger als der Tod.
In
Selmas Traum steht das Okapi mit „seinem giraffenhaft geformten rostroten Leib,
seinen Rehaugen und Mausohren“ zusammen mit ihr auf einer Wiese am Waldrand,
irgendwann sehen Selma und das Okapi sich an – und dann ist der Traum vorbei.
Selma erzählt ihrer zehnjährigen Enkeltochter Luise und ihrer Schwägerin
Elsbeth davon, was zur Folge hat, dass noch bevor Luise in der Schule ist, das
ganz Dorf von dem Traum weiß. Und umgehend Vorbereitungen trifft, denn wenn Selma
von einem Okapi geträumt hat, dann muss im Dorf jemand sterben. Manche Leute
bleiben daraufhin einfach nur besonders still sitzen, so wie der pensionierte
Postbote, andere kümmern sich um die Wahrheit, die noch raus muss, bevor es zu
spät dafür ist. Der Optiker zum Beispiel kämpft mit der verschwiegenen Liebe zu
Selma und all den Liebesbriefen, in denen er selten über die Anrede „Liebe
Selma, mal was anderes“ hinauskam. Das ganze Dorf weiß von dieser Liebe und
fragt sich, wann der Optiker „endlich damit herausrücken würde, mit etwas, das
längst herausgerückt war“.
Der
Tod holt sich schließlich denjenigen, der am wenigsten damit rechnet. Die
verschwiegene Liebe des Optikers zu Selma bleibt eines der Leitmotive des
Romans, die Mariana Leky immer wieder variiert, eine Art poetischer Running
Gag, der damit spielt, dass wir so oft zielsicher den Augenblick verpassen, um
zu sagen, was gesagt werden müsste, um einen Anfang für etwas zu finden, um zu
beenden, was beendet werden müsste, um das zusammenzubringen, was, wie bei
einem Okapi, scheinbar nicht zusammenpasst. Luises Mutter verbringt viele Jahre
„in der schlechten Gesellschaft“ der Frage, ob sie sich von ihrem Mann trennen
soll. Luises Vater begibt sich auf eine endlose Weltreise, nachdem er mit dem
Versuch gescheitert ist, seinen Schmerz durch die Anschaffung von „Alaska“ zu
externalisieren. „Alaska“ ist ein großer irischer Hirtenhund, der daraufhin mit
dem Schmerz leben muss, dass sein Herrchen nur ab zu mal vorbeikommt.
Luise,
die mit dem Rat des Vaters „mehr Welt hereinzulassen“ zurückbleibt, verliebt
sich in einen buddhistischen Mönch aus Hessen, der zu einem kurzen Besuch in
Deutschland ist und sonst in einem Kloster in Japan lebt. Eine unmögliche
Liebe, die sich über ein Jahrzehnt mit Briefen behilft. Das Leben, die Liebe,
der Schmerz und der Tod, das sind die Themen, von denen Mariana Leky in diesem
klugen und berührenden Roman in großer Leichtigkeit, sprachlicher Präzision und
Komik erzählt. Doch das schönste an dem westfälischen Lebenskosmos ist dann
vielleicht doch, dass sich die Menschen in ihrer Verschrobenheit so innig
zugetan bleiben – über alle Grenzen ihres Dorfes hinweg.
Mariana
Leky studierte nach einer Buchhandelslehre Kulturjournalismus an der
Universität Hildesheim. Mit ihren ersten Erzählungen gewann sie den Allegra
Preis 2000. Für den 2001 erschienenen Erzählband Liebesperlen wurde sie
mit dem Niedersächsischen Literaturförderpreis und dem Stipendium des Landes
Bayern ausgezeichnet. 2005 wurde sie für ihren Roman Erste Hilfe mit dem
Förderpreis für junge Künstler in der Sparte Dichtung/Schriftstellerei des
Landes NRW ausgezeichnet. Was man von hier aus sehen kann ist das „Lieblingsbuch
der Unabhängigen“ 2017 – gewählt von Buchhändlerinnen und Buchhändlern aus ganz
Deutschland. Sie lebt in Berlin und Köln.
Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky
ist bei Dumont erschienen.
(JK 11/17)
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