Nicholas Searle: Verrat (Kindler)

Ein ungeheuer fesselnder, zugleich nachdenklicher Thriller über den nordirischen Bürgerkrieg und über das, was die große Geschichte mit den einfachen Menschen macht, ist das Buch Verrat  des englischen Autors Nicholas Searle, das bei Kindler erschienen ist.

Weihnachten 1989. Bridget O’Neill blickt mit Grauen den Feiertagen entgegen: Wird ihre Gebäck Gnade finden vor der Schwiegermutter? Ihr Mann ist derweil in Calais, um einen britischen Soldaten vor den Augen seiner Familie zu töten. Francis ist ein Fußsoldat der IRA, der Kampf ist ihm Beruf und Lebenszweck. Doch seine Frau leidet sehr am Bürgerkrieg: Die bösen Geheimnisse, der Heimatort, der einer Geisterstadt gleicht, Jahre wie Blei. Bridget lässt sich vom britischen Geheimdienst rekrutieren und wird doch die Schuldgefühle – beiden Seiten gegenüber – nicht los. Auch Francis‘ Bruder Liam will Informant werden. Ein Hinweis von Francis beschert ihm den Tod. Und „Gentleman Joe“, Francis‘ Boss, schätzt solche Treue. Er hat gleich den nächsten Job für Francis: ein Bombenattentat. Dass die IRA insgeheim längst mit den Briten verhandelt, weiß Francis nicht. Er hat auch ohnedies schon Zweifel am Krieg, dem er seinen Bruder geopfert hat. In einer schwachen Stunde weint er sich bei Bridget aus, die den Attentatsplan weitergibt. Francis wandert in den Knast. Und Bridget fühlt sich durch ihren Verrat noch mehr an ihn gebunden. Sie wird auf ihn warten – auf die Gefahr hin aufzufliegen. Nach sechs Jahren – der Bürgerkrieg ist Geschichte – wird Francis entlassen: Er kommt in eine Welt, in der es keinen Platz gibt für einen Mann der Vergangenheit. Enttäuscht konzentriert Francis sich auf die Suche nach dem Verräter und bringt damit sich und Bridget in höchste Gefahr…

Extrem spannend hat Nicholas Searle die Handlung in seinem Thriller aufgebaut. Das Böse kommt ganz cool und lässig daher. Werte verlieren ihre Gültigkeit. Loyalität erreicht genau das Gegenteil und Verrat erscheint als richtig. Schäbige Kompromisse und tragische Entscheidungen korrumpieren die Moral. Fanatismus, Heuchelei, blinde Wut, Verrat und erschreckende Kaltblütigkeit wechseln sich ab mit Unsicherheit, Zweifel und der aussichtslosen Suche nach Wegen, die längst verloren sind. Das ist die Situation in Searles Thriller. Letztendlich bringt der Autor das Dilemma die Situation Nordirlands auf den Punkt. Wie sehr man auch die Protagonisten versteht, Morde und Tötungen im Namen irgendeines Freiheitskampfes oder der Verteidigung eines Herrschaftssystems sind nicht zu rechtfertigen. Nicholas Searle schafft es, mit dem Thriller Verrat an sein gelungenes Debüt Das alte Böse nicht nur anzuknüpfen sondern hat sich in mancher Hinsicht, was z.B. die Charaktertiefe der Hauptpersonen betrifft, noch gesteigert.

Nicholas Searle ist in Cornwall aufgewachsen und studierte Sprachen in Bath und Göttingen. Er machte Karriere im Öffentlichen Dienst, erst in seiner Heimat, dann in Neuseeland. 2011 kehrte Searle nach England zurück, nahm seinen Abschied vom Staatsdienst und begann zu schreiben. Sein Debütroman Das alte Böse wurde von der Kritik international gefeiert. Der Autor lebt mit seiner Frau in Yorkshire.

Verrat von Nicholas Searle ist bei Kindler erschienen.
(JK 06/18)

Keine Kommentare: