Zentralbibliothek
Hamburger Öffentlichen Bücherhallen
Donnerstag, 07.03.2019 20.00
Uhr
Hühnerposten 1, Hamburg
Eintritt: 14 Euro
Takis Würger liest aus seinem neuen Roman Stella
vor, der bei Hanser erschienen ist.
„Das Unerzählbare zu
erzählen“, lässt sich auf einem Prospekt des Hanser Verlags und auch auf dem
Cover Daniel Kehlmann zitieren, wäre das „aberwitzige“ Unterfangen, das sich
Takis Würger mit seinem Roman Stella vorgenommen habe. Er erklärt damit,
warum er dieses Buch „mit Spannung und Erschrecken“ und schließlich „mit
Bewunderung“ gelesen hat. Und er formuliert damit die Aufgabe, an der Würger
von der Literaturkritik gemessen wurde und krachend gescheitert ist, wie die
vielen Verrisse, vor allem in den großen Feuilletons nahelegen. Das Urteil
lautet fast einhellig auf Holocaust-Kitsch. Doch es gibt auch Gegenstimmen: Stella
wurde „NDR Buch des Monats“, ist ein vielgelesener Besteller und hat eine
wichtige Literaturdebatte ausgelöst. Im Fokus steht die Frage, wie die
Literatur in einer Zeit, in der es kaum noch Zeitzeugen gibt, über Schuld und
Verstrickung in die Schoah, über Opfer und Täter, über Vertreibung, Vernichtung
und Verrat erzählen kann – und wie besser nicht.
Es beginnt mit einem
Vorspiel über die ersten 20 Lebensjahre des 1922 geborenen Erzählers Friedrich.
Und um es vorwegzunehmen, für diese 35 Seiten lohnt sich die Lektüre von Stella,
hier gelingt Takis Würger eine sensible Erzählung über die Verfinsterung einer
Kindheit und Jugend in einer unheilvollen Zeit. Friedrich lebt in äußerst
wohlhabenden Verhältnissen in der Nähe von Genf, er ist ein naiver Junge, dem
seine Ehrlichkeit und Offenheit zum Verhängnis wird. Nach einer groben
Misshandlung leidet er an Farbenblindheit, seine Mutter, eine Malerin, kann
daraufhin keine Nähe mehr zu ihm zulassen, und sein Vater, ein Unternehmer, ist
nicht oft zu Hause. Nach und nach ziehen in den kommenden 20 Jahren in dem
Anwesen in den Bergen die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der
Zeit ein. Friedrichs Mutter verwandelt sich in eine stramme Nationalsozialistin
und Antisemitin, die ihre jüdische Köchin entlassen will, die Ehe der Eltern
scheitert an politischen Differenzen und im Stall kursieren unter den Burschen
Gerüchte über Gräueltaten im nationalsozialistischen Berlin. Mit der
Begründung, dass jemand „die Gerüchte von der Wirklichkeit trennen“ muss, zieht
es schließlich ausgerechnet den traumatisierten Friedrich nach Berlin.
Schon in diesem Auftakt
des Romans hat Würger den Handlungsablauf durch zeitgeschichtlichen Kolorit
aufgepeppt. In ein oder zwei Sätzen, die sich dynamisch in die Erzählung
einfügen, werden Nachrichten über das Zeitgeschehen eingestreut. Der sich
anschließende Reigen des Jahres 1942 zitiert dann von Januar bis Dezember
jeweils auf einer ganzen Seite stichwortartig Zeitgeschichte. Da erfährt man
von einer Anzeige, in der es heißt „Vollkornbrot ist besser und gesünder“, dass
in den USA Cassius Marcellus Clay Junior geboren wurde und „Adolf Eichmann“
protokolliert hat, „wie die Juden aus Europa getötet werden sollen“. Zu der
spannenden Liebesgeschichte zwischen Stella, die davon träumt Sängerin zu
werden, und Friedrich, die im Zentrum des Romangeschehens steht, trägt all das
als erweiterter, zeitgeschichtlicher Horizont bei, aber man fragt sich bald,
warum man es mitlesen soll. Auch eingestreute Zitate aus Gerichtsakten über „Fälle“
von in Berlin denunzierten, verhafteten und ermordeten jüdischen Frauen,
Männern und Kindern bleiben unverortet. Sie dienen lediglich als reißerische
Botschaften über Stella, die blond und blauäugig im Bett der Suite des
Luxushotels liegt, in dem Friedrich sich eingemietet hat, und Schampus trinkend
„mein lieber Scholli“ sagt.
Von Stella erfährt der
naive Friedrich schon bald, dass sie Jüdin ist und von der Gestapo verfolgt und
erpresst wird. Friedrich versucht, ihr zu helfen, bis er am Ende begreift, dass
seine lebenshungrige Geliebte eine tief gespaltene Persönlichkeit ist, die als
Greiferin im Ledermantel durch die Stadt zieht und Juden denunziert. »Es gibt
Schuld«, „Verrat ist ein großes Wort“ und »das Leben formt uns zu Lügnern«, das
sind Beispiele aus der Phrasendreschmaschine, die der Autor mit seinem Erzähler
anwirft, bevor Friedrich wieder in die Schweizer Berge verschwindet. Die Leserinnen
und Leser haben es dann nicht so einfach, auf sie wartet noch der Epilog über
die reale Stella Goldschlag, die in Berlin Hunderte in den Tod schickte. Ihre „einzigste
Schuld“ wollte sie später darin sehen, dass sie sich „als Jüdin in einen
Außendienst der Gestapo“ hatte stellen lassen. Von dieser Stella Goldschlag hat
man in dem Roman nicht viel erfahren. Takis Würger entgegnet auf diesen
Einwand, er hätte nur „eine tragische Liebesgeschichte während der NS-Zeit“
erzählen wollen. Und bestätigt damit den Vorwurf der Kritik: Holocaust-Kitsch.
Takis Würger, geboren
1985, hat an der Henri-Nannen-Journalistenschule das Schreiben gelernt und
Ideengeschichte in Cambridge studiert. Er arbeitet als Redakteur für das
Nachrichtenmagazin Der Spiegel. 2017 erschien sein Debütroman Der Club,
der mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet wurde und für den
aspekte-Literaturpreis nominiert war. Takis Würger lebt in Berlin.
Stella von Takis Würger ist bei Hanser erschienen.
(JK 03/19)
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