Der französische Autor Hédi Kaddour legt mit seinem Buch Waltenberg, das bei Eichborn erschienen ist, einen europäischen Schlüsselroman für das 20. Jahrhundert vor.Das Hotel „Waldhaus“ im Schweizer Bergdorf Waltenberg ist das magische Zentrum des Romans. Erzählt wird in sich überlagernden und durchdringenden Episoden die Geschichte von vier Menschen, die sich in unterschiedlichen Konstellationen begegnen und wieder verlieren: Hans Kappler, Ingenieur und Schriftsteller, der den Ersten Weltkrieg in französischer Gefangenschaft überlebt hat; seine große Liebe, die amerikanische Sängerin Lena Hotspur, die an den unterschiedlichsten Orten und Zeiten ins Rampenlicht tritt und nicht nur Hans Kappler den Kopf verdreht; der französische Journalist Max Goffard, der Hans Kappler im Krieg begegnet und seitdem mit ihm befreundet ist. Und der Meisterspion Michael Lilstein, Kommunist und Auschwitzüberlebender, der nach 1945 für den Aufbau eines ostdeutschen Spionagenetzes verantwortlich ist und mit allen Mitteln verhindern will, dass Hans Kappler nach Ostdeutschland zurückkehrt.
In seinem monumentalen Buch umfasst Kadour siebzig Jahre europäische Geschichte. Siebzig Jahre bedeutet auch, dass viel passiert ist, was in diesem Buch Widerhall findet. Jedes Kapitel wird daher auch mit einem kurzen Resümee eingeleitet, was dem Leser hilft sich zu orientieren. Die Erzählstränge springen zwischen den Jahren hin und her, fächern die Geschichte sehr detailliert auf und sind nicht zwangsläufig chronologisch, was dem Leser ein beträchtliches Maß an Aufmerksamkeit abverlangt. Das besagte Hotel „Waldhaus“ liegt in Graubünden und Kadour zieht bewusst Parallelen zum Zauberberg von Thomas Mann, zur deutschsprachigen Literatur und Philosophie.
Hédi Kaddour wurde 1945 in Tunesien geboren und lebt seit seiner Kindheit in Frankreich. Er wurde dort mit sechs Lyrikbänden und einem Essayband zur Dichtung bekannt und veröffentlichte 2005 bei Gallimard den Roman Waltenberg. Dieses in Frankreich mehrfach ausgezeichnete Buch ist nun in der deutschen Übersetzung von Grete Osterwald bei Eichborn erschienen. Auf über 700 Seiten schlägt es einen Bogen vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis in die Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer. „Politik, Diplomatie, Spionage, Liebe, intellektuelles Leben – Kaddours Monumentalroman strotzt vor Kraft und Ungestüm“, lobte Paris Match. Magisches Zentrum des Romans ist das Hotel „Waldhaus“ im Bergdorf Waltenberg im Graubündischen, und wer nun Bezüge zur deutschsprachigen Literatur und Philosophie wittert, liegt sehr richtig, denn „Waltenberg“ entfaltet nicht nur ein Panorama europäischer Geschichte, sondern auch des europäischen Geistes im 20. Jahrhundert.
(JK 10/09)
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