Natsuo Kirin: Grotesk (Goldmann)

Der neue Roman Grotesk der japanischen Schriftstellerin Natsuo Kirin, der bei Goldmann erschienen ist, beschreibt den Weg von vier Frauen auf dem Weg nach oben, wo gleichzeitig der Abstieg in die Hölle beginnt.

Die 15-jährige Yuriko Hirata ist schön – überwältigend schön. An der Tokioter Eliteschule, die sie besucht, ist sie eine Berühmtheit, und kein Mann kann ihr widerstehen. Schon früh lernt sie, aus ihrem Aussehen Kapital zu schlagen und sich so auch dem unbarmherzigen Drill des Schulalltags zu verweigern. Sie lässt sich von dem Sohn eines Lehrers an Mitschüler verkaufen und ist schon bald bereit, jedes Tabu zu brechen, um ihre Macht über Männer auszuspielen, die sie im Grunde ihres Herzens hasst. Nach einer trügerischen Zeit des Erfolgs kommt jedoch der Tag, an dem sie sich eingestehen muss, nur mehr ein groteskes Monster zu sein, ein teuflisches Zerrbild ihrer selbst, das ein Leben im Elend führt. Als sie schließlich dem chinesischen Ganoven Zhang begegnet, erfüllt sich ihr Schicksal auf finstere Weise. Wie Yuriko versuchen auch drei andere Frauen, sich den Spielregeln der japanischen Gesellschaft zu widersetzen. Doch nichts wird so unnachsichtig bestraft wie eine Frau, die sich nicht fügt.

Natsuo Kirin steigt in die menschliche Psyche und stößt in die dunkelsten Winkel vor, die besser nicht ans Licht geraten sollten. Beim Leser erzeugt dies immer wieder Beklemmung angesichts der herrschenden Trostlosigkeit. Natsuo Kirin schreibt in den Kapiteln mit wechselnden Perspektiven und führt die Stränge zum Schluss zusammen. Die deutsche Übersetzung wurde übrigens aus der amerikanischen Übersetzung angefertigt, die das Original abgeschwächt wiedergibt. Aus Kommentaren der Autorin kann man entnehmen, dass das Original härter ausgefallen ist. Schade, dass der deutsche Leser sich kein eigenes Bild anfertigen kann. Man kann nur hoffen, dass die mittlerweile global ausgeübte US-amerikanische Zensur – in der Musik durch MTV kompromisslos umgesetzt – nicht nun auch die Literaturszene hierzulande erfasst. Es müssten sich doch geeignete japanisch-deutsche Übersetzer finden lassen... Dennoch bleibt das Buch auch in dieser Form beeindruckend und ist es wert sich darauf einzulassen

Natsuo Kirino wurde 1951 in Kanazawa geboren und lebt seit ihrer Jugend in Tokio. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Seikei University, bevor sie sich zu einer Karriere als Schriftstellerin entschloss. Mit ihrem Roman Die Umarmung des Todes gelang ihr der große internationale Durchbruch. Ihre Bücher werden in neunzehn Sprachen übersetzt und mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet.

Grotesk von Natsuo Kirin ist bei Goldmann erschienen.
(JK 09/10)

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