Brasilien
– Ehrengast 2013 der Frankfurter Buchmesse
Brasilien, 1961. An dem Tag, an dem Juri Gagarin die
Erde umrundet, ändert sich das Leben von Paulo und Eduardo für immer. Es sollte
ein schöner Frühlingstag werden – faul am See statt schwitzend in der Schule – bis
sie am Ufer die Leiche einer Frau entdecken. Für die Polizei ist der Fall
schnell gelöst: Der Ehemann ist der Täter – war das Opfer doch, wie jedermann
zu wissen schien, eine Ehebrecherin. Die beiden Jungen glauben aber nicht daran
und fangen an, selbst zu ermitteln. Zu ihnen gesellt sich ein alter Mann, der
einst von der Geheimpolizei gefoltert wurde und mehr über die Stadtbewohner
weiß, als er zugibt. Es ist der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft dreier
Außenseiter – und einer gefährlichen Suche nach der Wahrheit.
Bald stellt das ungewöhnliche Trio fest, dass das
Opfer, Anita, eine rätselhafte Vergangenheit hat und auf dubiose Art und Weise
mit den einflussreichen Männern der Stadt verbunden ist. Anita heißt eigentlich
Aparecida dos Santos und ist die illegitime Tochter des Senators Diógenes
Marques Torres, der einst ihre Mutter, eine Mulattin, vergewaltigte. Anita
wurde in eine Waisenhaus abgeschoben und als 15-jährige gezwungen, den Zahnarzt
der Stadt zu heiraten. Dieser macht sich zwar nichts aus Frauen, genießt es
aber, seine Frau zu fotografieren, während sie von den „Mächtigen“ der Stadt
sexuell missbraucht wird. Im Verlauf ihrer Recherchen stoßen Paulo Eduardo und
der alte Mann auf ein dichtes Geflecht von Gewalt, Inzest und politischer
Korruption, und diese Entdeckungen läuten das Ende ihrer eigenen Unschuld ein.
Paulo und Eduardo gelingt am Ende das Unmögliche,
sie decken das eigentliche Verbrechen auf. Während der alte Mann ihre
Enthüllungen mit dem Leben bezahlen muss, werden die beiden Jungen mit ihren
Familien gezwungen, die Stadt zu verlassen. Und so bricht auch der Kontakt
zwischen den ungleichen Freunden ab, die aus ganz unterschiedlichen
gesellschaftlichen Schichten stammen. Die beiden werden sich nie wiedersehen.
Silvestre entwirft in Der letzte Tag der Unschuld ein breit gefächertes Bild der
brasilianischen Gesellschaft kurz vor dem Beginn der grausamen Militärdiktatur
1964, das nichts von den zahlreichen Widersprüchen und den teils noch aus der
Kolonialzeit stammenden Problemen des Landes ausspart. Der Roman zeigt Brasilien
zu Beginn des brasilianischen Wirtschaftswunders, das drastische Umbrüche im
ganzen Land hervorruft. Silvestre versteht es, den vielschichtigen Mikrokosmos
einer Kleinstadt zu erschaffen, in der eine verbrecherische Doppelmoral
herrscht und nichts so ist, wie es scheint – genau so, wie auch im gesamten
Land.
Edney Silvestre, geboren 1950, ist in seinem
Heimatland ein bekannter Journalist und Fernsehmoderator. Sein Debütroman Der letzte Tag der Unschuld wurde auf
Anhieb ein Erfolg und mit renommierten Literaturpreisen wie dem Premio Jabuti
und dem São Paulo-Preis ausgezeichnet. Nach mehreren Jahren als Korrespondent
in New York lebt Edney Silvestre jetzt wieder in Brasilien.
Der letzte Tag der Unschuld von Edney Silvestre ist bei Limes erschienen.
(JK 10/13)
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