Alissa Ganijewna: Die russische Mauer (Suhrkamp)

Der Roman Die russische Mauer ist das Debüt der vielversprechenden russischen Autorin Alissa Ganijewna und ist bei Suhrkamp erschienen.

Schamil, ein junger Dagestaner, der sich nach Verlust seines Verwaltungsjobs als Lokalreporter versucht, trifft die Redaktionskollegen in großer Aufregung an. Gerüchte über eine Mauer, die die Russen bauen, um den Kaukasus abzutrennen, machen die Runde. In der Stadt am Kaspischen Meer greift Unruhe um sich, täglich finden Versammlungen statt: Pro-islamische Demonstranten aus Kumykien und Streiter für ein „vereinigtes Lesgistan“ debattieren über Grenzfragen, die Atmosphäre ist aufgeheizt. Angst liegt in der Luft. Doch Schamil versucht, weiterzuleben wie bisher. Er treibt Kampfsport, rast mit Freunden im Auto durch die Stadt, tobt sich in der Disko aus. Wie betäubt sitzt er da, als Madina, seine Verlobte, ihm erklärt, sie werde den Schleier nehmen und einem salafistischen Kämpfer in die Berge folgen. Selbst nachdem es die ersten Toten gegeben hat und seine Kusine Assja, eine belesene junge Frau, ihn überreden will, mit ihr nach Georgien und weiter in den Westen zu fliehen, kann Schamil sein Zaudern nicht überwinden. Dann überstürzen sich die Ereignisse.

Die Autorin sagt selbst über ihr Buch: „Mein Buch ist realistische Literatur, es spricht von etwas, das fast geschehen wäre.“ Ganijewa beschreibt ein zerrissenes Land, Sie verwebt die in Gesellschaft und Politik herrschenden unterschiedlichen Strömungen und Ansichten miteinander. Mit dem angeblichen Mauerbau zur Abtrennung des Kaukasus wendet sich Ganijewa an die russische Öffentlichkeit, spitzt Tendenzen zu, wie sie heute vorzufinden sind. Die Autorin zeigt ein facettenreiches und widersprüchliches Dagestan, wie es ihrer Ansicht nach wirklich ist, doch sie bezieht in ihrem Buch keine Stellung. Islamismus, Korruption, Terrorismus oder Aberglauben überlässt sie dem Leser zu bewerten. Veränderungen vollziehen sich im Roman nicht in großen   Schritten sondern nur allmählich und im Detail. Dagestan bedeutet in den Turksprachen nichts anderes als Bergland, der Roman im russischen Original heisst wörtlich „Berg der Freude“. Dieser Berg der Freude wird im Roman mehrfach aufgerufen, ein mythischer Berg, von dem man allerdings nicht weiß, ob er tatsächlich existiert. Dort oben soll so etwas wie ewiger Frieden herrschen. Letztlich steht bei Ganijewa nicht die große Politik im Zentrum des Romans, sondern das Schicksal der einzelnen Menschen. Auf den Berg der Freude rettet sich, wer der Intoleranz und Gewalt überdrüssig ist.

Alissa Ganijewa, geboren 1985, wuchs in Machatschkala in Dagestan auf und lebt heute als Literaturkritikerin und Autorin in Moskau. Ihr Debüt, die unter männlichem Pseudonym veröffentlichte Erzählung Salam, Dalgat, löste heftige Reaktionen aus. Die russische Mauer, ihr erster Roman, wird zur Zeit in mehrere Sprachen übersetzt.

Die russische Mauer  
von Alissa Ganijewa ist bei Suhrkamp erschienen.
(JK 07/14)

Keine Kommentare: