Indonesien, Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse 2015







„Selamat datang – willkommen, Indonesien!“ 

Mit Indonesien präsentierte sich das erste südostasiatische Land als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Das Motto „17.000 Inseln der Imagination“ weist auf die geografische und kulturelle Vielfalt des Landes hin, des größten Inselarchipels der Welt. Die besondere Lage des Landes greift auch die Architektur des Gastland-Auftritts auf. Inseln prägen den indonesischen Pavillon – als symbolische Begegnungsstätten im Meer der Bücher. Es gab dort ein „Island of Words“, ein „Island of Tales“, ein „Island of Inquiry“ und weitere. Zentrum des Gastland-Auftritts war das Forum, Ebene 1. Auf der Agora, der großen Freifläche zwischen Forum und den Messehallen fanden Musik- und Tanzaufführungen statt.


Wenn deutsche Leser an Indonesien denken, kommt vielen vermutlich zuerst Bali in den Sinn: Ein exotisches Urlaubsparadies mit viel Sonne, Musik und Tanz. Doch hat die junge Demokratie eine bewegte Vergangenheit zu bewältigen. Die indonesischen Autoren reflektieren häufig die Geschichte ihres Landes, ihre Gegenwart, den Einfluss von Politik und Religion auf die Gesellschaft – es lohnte sich in die Lesungen hineinzuhorchen. Mehr als 70 Autorinnen und Autoren kamen zur Messe und präsentierten 108 Novitäten.

Indonesien, der riesige Archipel, ist buchhändlerisch ein kleines Land. Als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sieht es aber große Chancen, seine Literatur westwärts zu bringen.
Indonesien kann mit enormen Zahlen aufwarten: Der größte Archipel der Erde zählt gut 17.500 Inseln zu seinem Territorium. Auf zwei Millionen Quadratkilometern erstreckt sich das fernöstliche Reich. Seine West-Ost-Ausdehnung entspricht fast der von Europa. Von den 255 Millionen Indonesiern sind 40 Prozent jünger als 24 Jahre. Zwar werden mehr als 600 Regionalsprachen und Regiolekte gesprochen, aber Bahasa Indonesia, die dem Malaiischen eng verwandte Lingua Franca der jungen Demokratie, wird von Sumatra bis Papua überall verstanden. Auf den Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung ist der Kulturminister des Landes, Anies Baswedan, sehr stolz: 93 Prozent seine Landsleute können Baswedan zufolge lesen und schreiben. Kurzum, das Land scheint die Idealbesetzung für die Rolle eines Ehrengasts der Frankfurter Buchmesse zu sein.

Nur mit dem Lesen von Büchern ist es in Indonesien nicht zum Besten bestellt. Der Amerikaner John McGlynn, der seit vielen Jahren als Übersetzer und Herausgeber in dem Inselstaat lebt, nennt das Bildungswesen dort mit Blick auf Leseförderung und literarische Erziehung „eine Katastrophe“. Unter dem diktatorisch regierenden General Suharto seien Mitte der 60er Jahre alle Bildungsbemühungen auf dem Feld der Literatur gestoppt worden. Und trotz der Demokratisierung des Landes 1998 sei das Problem bis heute nicht behoben, klagt McGlynn.

Alex Sihar, Mitglied im Dewan Kesenian Jakarta, einer Art Akademie der Schönen Künste, pflichtet dem Amerikaner bei, was die allgemeine Krise des Lesens anlangt. Der Experte für Film und audiovisuelle Medien sagt sogar von sich selbst, dass er aufgehört habe, noch Magazine und Zeitungen zu kaufen. „Und die Kosten für gedruckte Bücher sind für einen Großteil unserer Bevölkerung viel zu hoch.“ Auch das sei eine Grund für die geringe Verbreitung von Büchern und Buchläden im Land. Wenn gelesen werde, so Sihar, dann zumeist digital. Und häppchenweise. Zur Bevölkerungsdichte Facebooks trage Indonesien mit 50 Millionen Mitgliedern allerdings einen starken Anteil bei.

Gesicherte Daten über die buchhändlerische Infrastruktur Indonesiens sind schwer zu beschaffen. In der Länderstatistik der Frankfurter Buchmesse ist von etwa 1200 Buchläden die Rede. 280 davon würden von den sieben größten Buchhandelsunternehmen betrieben. Von denen ist das mit Abstand größte Gramedia, zugleich eine Verlagsgruppe und eines der wenigen Häusern, das intensiv seine Zahlen pflegt und analysiert.

Wandi S. Brata, Chef der Gruppe, gibt Zahlen gern preis. Nach seinen Angaben ist Gramedia mit 116 Buchhandlungen in 47 Städten vertreten. Die wichtigsten Wettbewerber, Gunung Agung undToga Mas, bringen es auf 48 bzw. 46 Läden. Den größten Umsatzanteil im Jahr 2014 machten bei Gramedia Kinderbücher (22,1%), es folgen Belletristik (12,7%), Religion (12,6%) und Schulbücher (11,8%).


Zwei Drittel der Kundschaft sind Frauen. Ungewöhnlich aus deutscher Sicht erscheint der Warenmix: Die Non-Book-Umsätze der Buchhandlungen übersteigen mittlerweile die des Buchsortiments. Vor fünf Jahren lag Brata zufolge das Verhältnis noch bei 60 zu 40 zugunsten der Bücher. 2014 machten die Non-Books bereits einen Anteil von 53 Prozent aus – auch das vielleicht ein Hinweis auf den Stand der Leselust im Land.

Minister Baswedan, in seinem Ressort auch für das Schulwesen zuständig, will die Lese-Skepsis der Kritiker jedoch nicht gelten lassen. Zwar räumt er ein, dass die derzeit 208.000 Schulen für eine qualifizierte Leseförderung der Kinder und Jugendlichen „noch immer nicht ausreichen“; zwar gibt er zu, dass die Bibliotheken im Land, zumal im ländlichen Raum, nach wie vor schlecht ausgestattet sind; zwar erkennt er in der eklatanten Chancenungleichheit der Bevölkerungsschichten eine der größten Herausforderungen des heutigen Indonesiens.


Aber der 46-jährige Politiker, der an US-amerikanischen Universitäten studiert hat, sieht vor allem Fortschritte: AN den Schulen sei das Programm „Jeden Tag zehn Minuten freies Lesen!“ schon ein Schritt in die richtige Richtung. Weit oben auf seiner To-do-Liste stehe die Lehrerfortbildung. „Wir müssen unsere Lehrer dazu befähigen, dass sie ihre Schüler zur Nutzung von Bibliotheken und zum Lesen von Büchern motivieren können“, erklärte Baswedan bei einem Treffen mit deutschen Journalisten in Jakarta. Und wir müssen die Eltern erreichen. „Denn Lesen beginnt zu Hause.“

Optimistisch in Bezug auf das Verhältnis der Indonesier zu Büchern äußert sich auch Goenawan Mohamad. Der Chef des Ehrengastkomitees fordert die westlichen Buchmärkte zu einer offenen, neugierigen Haltung seinem Land gegenüber auf. „Wir haben moderne Literatur. Vieles davon ist es wert, gelesen zu werden“, wirbt er im Gespräch mit dem Börsenblatt. „Indonesien ist für Europäer noch ein unbekanntes Wesen“, sagt er. Aber mit der Literatur erschließe sich sein Land denen, die es nicht kennen.


Mohamad nennt zwei Ziele des Gastlandauftritts. Das erste richtet sich nach außen: „Wir brauchen eine neue Wahrnehmung, sodass Europäer nicht mehr zuerst Tsunami, Korruption und Verkehrsstau assoziieren, wenn sie an Indonesien denken. Diese Stereotypen helfen niemandem.“ Das zweite Ziel ist eine Ermunterung an die Adresse der jungen Autorinnen und Autoren des Landes, sich der Welt zu zeigen. „Wir sagen unseren Schriftstellern:; Ihr lebt hier schon zu lange in der Komfortzone. Ihr beschäftigt euch zu sehr mit euch selbst. Frankfurt gibt euch jetzt die große Chance, in den internationalen literarischen Wettbewerb zu treten.“

Der gute Ansatz im Konzept trifft auf teilweise schwierige Bedingungen in der Wirklichkeit. Problem Nr. 1: Es fehlt an erstklassigen Übersetzern vom Indonesischen ins Deutsche. Problem Nr. 2: Das Übersetzungsprogramm für Frankfurt, das vor drei Jahren hätte starten sollen, lief erst mit zweijähriger Verspätung an. John McGlynn, der dieses Programm inhaltlich verantwortet, klingt genervt: „Offenbar gab es Schwierigkeiten mit der Bürokratie im Ministerium. Das Geld, das ursprünglich für 200 Übersetzungen ins Deutsche vorgesehen war, kam dann erst im Oktober 2014.“

Keine Kommentare: