„Selamat
datang – willkommen, Indonesien!“
Mit Indonesien präsentierte sich das erste
südostasiatische Land als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Das Motto
„17.000 Inseln der Imagination“ weist auf die geografische und kulturelle
Vielfalt des Landes hin, des größten Inselarchipels der Welt. Die besondere
Lage des Landes greift auch die Architektur des Gastland-Auftritts auf. Inseln
prägen den indonesischen Pavillon – als symbolische Begegnungsstätten im Meer
der Bücher. Es gab dort ein „Island of Words“, ein „Island of Tales“, ein
„Island of Inquiry“ und weitere. Zentrum des Gastland-Auftritts war das Forum,
Ebene 1. Auf der Agora, der großen Freifläche zwischen Forum und den
Messehallen fanden Musik- und Tanzaufführungen statt.
Wenn deutsche Leser an Indonesien denken, kommt vielen vermutlich zuerst Bali in den Sinn: Ein exotisches Urlaubsparadies mit viel Sonne, Musik und Tanz. Doch hat die junge Demokratie eine bewegte Vergangenheit zu bewältigen. Die indonesischen Autoren reflektieren häufig die Geschichte ihres Landes, ihre Gegenwart, den Einfluss von Politik und Religion auf die Gesellschaft – es lohnte sich in die Lesungen hineinzuhorchen. Mehr als 70 Autorinnen und Autoren kamen zur Messe und präsentierten 108 Novitäten.
Indonesien,
der riesige Archipel, ist buchhändlerisch ein kleines Land. Als Ehrengast der
Frankfurter Buchmesse sieht es aber große Chancen, seine Literatur westwärts zu
bringen.
Indonesien
kann mit enormen Zahlen aufwarten: Der größte Archipel der Erde zählt gut
17.500 Inseln zu seinem Territorium. Auf zwei Millionen Quadratkilometern
erstreckt sich das fernöstliche Reich. Seine West-Ost-Ausdehnung entspricht
fast der von Europa. Von den 255 Millionen Indonesiern sind 40 Prozent jünger
als 24 Jahre. Zwar werden mehr als 600 Regionalsprachen und Regiolekte
gesprochen, aber Bahasa Indonesia, die dem Malaiischen eng verwandte Lingua
Franca der jungen Demokratie, wird von Sumatra bis Papua überall verstanden.
Auf den Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung ist der Kulturminister des
Landes, Anies Baswedan, sehr stolz: 93 Prozent seine Landsleute können Baswedan
zufolge lesen und schreiben. Kurzum, das Land scheint die Idealbesetzung für
die Rolle eines Ehrengasts der Frankfurter Buchmesse zu sein.
Nur
mit dem Lesen von Büchern ist es in Indonesien nicht zum Besten bestellt. Der
Amerikaner John McGlynn, der seit vielen Jahren als Übersetzer und Herausgeber
in dem Inselstaat lebt, nennt das Bildungswesen dort mit Blick auf
Leseförderung und literarische Erziehung „eine Katastrophe“. Unter dem
diktatorisch regierenden General Suharto seien Mitte der 60er Jahre alle
Bildungsbemühungen auf dem Feld der Literatur gestoppt worden. Und trotz der
Demokratisierung des Landes 1998 sei das Problem bis heute nicht behoben, klagt
McGlynn.
Alex
Sihar, Mitglied im Dewan Kesenian Jakarta, einer Art Akademie der Schönen
Künste, pflichtet dem Amerikaner bei, was die allgemeine Krise des Lesens
anlangt. Der Experte für Film und audiovisuelle Medien sagt sogar von sich
selbst, dass er aufgehört habe, noch Magazine und Zeitungen zu kaufen. „Und die
Kosten für gedruckte Bücher sind für einen Großteil unserer Bevölkerung viel zu
hoch.“ Auch das sei eine Grund für die geringe Verbreitung von Büchern und
Buchläden im Land. Wenn gelesen werde, so Sihar, dann zumeist digital. Und
häppchenweise. Zur Bevölkerungsdichte Facebooks trage Indonesien mit 50
Millionen Mitgliedern allerdings einen starken Anteil bei.
Gesicherte
Daten über die buchhändlerische Infrastruktur Indonesiens sind schwer zu
beschaffen. In der Länderstatistik der Frankfurter Buchmesse ist von etwa 1200
Buchläden die Rede. 280 davon würden von den sieben größten
Buchhandelsunternehmen betrieben. Von denen ist das mit Abstand größte
Gramedia, zugleich eine Verlagsgruppe und eines der wenigen Häusern, das
intensiv seine Zahlen pflegt und analysiert.
Wandi
S. Brata, Chef der Gruppe, gibt Zahlen gern preis. Nach seinen Angaben ist
Gramedia mit 116 Buchhandlungen in 47 Städten vertreten. Die wichtigsten
Wettbewerber, Gunung Agung undToga Mas, bringen es auf 48 bzw. 46 Läden. Den
größten Umsatzanteil im Jahr 2014 machten bei Gramedia Kinderbücher (22,1%), es
folgen Belletristik (12,7%), Religion (12,6%) und Schulbücher (11,8%).
Zwei
Drittel der Kundschaft sind Frauen. Ungewöhnlich aus deutscher Sicht erscheint
der Warenmix: Die Non-Book-Umsätze der Buchhandlungen übersteigen mittlerweile
die des Buchsortiments. Vor fünf Jahren lag Brata zufolge das Verhältnis noch
bei 60 zu 40 zugunsten der Bücher. 2014 machten die Non-Books bereits einen Anteil
von 53 Prozent aus – auch das vielleicht ein Hinweis auf den Stand der Leselust
im Land.
Minister
Baswedan, in seinem Ressort auch für das Schulwesen zuständig, will die
Lese-Skepsis der Kritiker jedoch nicht gelten lassen. Zwar räumt er ein, dass
die derzeit 208.000 Schulen für eine qualifizierte Leseförderung der Kinder und
Jugendlichen „noch immer nicht ausreichen“; zwar gibt er zu, dass die
Bibliotheken im Land, zumal im ländlichen Raum, nach wie vor schlecht
ausgestattet sind; zwar erkennt er in der eklatanten Chancenungleichheit der
Bevölkerungsschichten eine der größten Herausforderungen des heutigen
Indonesiens.
Aber
der 46-jährige Politiker, der an US-amerikanischen Universitäten studiert hat,
sieht vor allem Fortschritte: AN den Schulen sei das Programm „Jeden Tag zehn
Minuten freies Lesen!“ schon ein Schritt in die richtige Richtung. Weit oben
auf seiner To-do-Liste stehe die Lehrerfortbildung. „Wir müssen unsere Lehrer
dazu befähigen, dass sie ihre Schüler zur Nutzung von Bibliotheken und zum Lesen
von Büchern motivieren können“, erklärte Baswedan bei einem Treffen mit
deutschen Journalisten in Jakarta. Und wir müssen die Eltern erreichen. „Denn
Lesen beginnt zu Hause.“
Optimistisch
in Bezug auf das Verhältnis der Indonesier zu Büchern äußert sich auch Goenawan
Mohamad. Der Chef des Ehrengastkomitees fordert die westlichen Buchmärkte zu
einer offenen, neugierigen Haltung seinem Land gegenüber auf. „Wir haben
moderne Literatur. Vieles davon ist es wert, gelesen zu werden“, wirbt er im
Gespräch mit dem Börsenblatt. „Indonesien ist für Europäer noch ein unbekanntes
Wesen“, sagt er. Aber mit der Literatur erschließe sich sein Land denen, die es
nicht kennen.
Mohamad
nennt zwei Ziele des Gastlandauftritts. Das erste richtet sich nach außen: „Wir
brauchen eine neue Wahrnehmung, sodass Europäer nicht mehr zuerst Tsunami,
Korruption und Verkehrsstau assoziieren, wenn sie an Indonesien denken. Diese
Stereotypen helfen niemandem.“ Das zweite Ziel ist eine Ermunterung an die
Adresse der jungen Autorinnen und Autoren des Landes, sich der Welt zu zeigen.
„Wir sagen unseren Schriftstellern:; Ihr lebt hier schon zu lange in der
Komfortzone. Ihr beschäftigt euch zu sehr mit euch selbst. Frankfurt gibt euch
jetzt die große Chance, in den internationalen literarischen Wettbewerb zu
treten.“
Der
gute Ansatz im Konzept trifft auf teilweise schwierige Bedingungen in der
Wirklichkeit. Problem Nr. 1: Es fehlt an erstklassigen Übersetzern vom
Indonesischen ins Deutsche. Problem Nr. 2: Das Übersetzungsprogramm für
Frankfurt, das vor drei Jahren hätte starten sollen, lief erst mit zweijähriger
Verspätung an. John McGlynn, der dieses Programm inhaltlich verantwortet,
klingt genervt: „Offenbar gab es Schwierigkeiten mit der Bürokratie im
Ministerium. Das Geld, das ursprünglich für 200 Übersetzungen ins Deutsche
vorgesehen war, kam dann erst im Oktober 2014.“
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